Gesamtzusammenfassung Ponita & Wolfiana im Gymnasium

 

 

 Ponita & Wolfiana im Gymnasium

 Inhalt

 

Vorwort                                                                                       1
Kapitel 1: Ponita                                                                         4
Kapitel 2: Tigia                                                                           11
Kapitel 3: Bisoumes & Wolfiana                                             19
Kapitel 4: Hanusz                                                                      27
Kapitel 5: Ponita                                                                        33
Kapitel 6: Luchsa                                                                      45
Kapitel 7: Hasinde, Bäriko, Swana & Zebras
Kapitel 8: Feldmausina
Kapitel 9: Hazian
Kapitel 10
: Ponita

 

 Vorwort

Mit der Grundschule ist es vorbei. Ponita, Wolfiana, Hanusz und all die anderen sind jetzt stolze Fünftklässler. Inzwischen hat sich übrigens einiges verändert. In der langen Zeit, wo du Ponitas Leben nicht mitverfolgen konntest (also als sie in der dritten und vierten Klasse war), sind die Schüler gewachsen und haben sich weiterentwickelt.
Hasinde Hüpfer ist strenger und gestresster geworden, Bäriko Brumm dafür vergesslicher und fauler. Hasinde hat alleine die Leitung über die Klasse übernommen, während Bäriko nur noch 2 Mal die Woche überhaupt anwesend war.
Die Tierkinder sind stilbewusster geworden und nahmen es nun wichtig, cool zu sein. Zum Beispiel Bisoumes ist so abhängig davon, dass er das Lernen komplett vergisst und nur daran denkt, seinen Status als Klassencoolster zu erhalten. Unter anderem Tigia ist von diesem Verhalten extrem genervt. Weil sie Bisoumes so nervig findet, aber ihn nicht weniger coolheits-süchtig machen kann, gibt es für sie nur eins, wie sie seinen Zustand bekämpfen kann: Sie muss mit ihm konkurrieren. Ihm die Stirn bieten. Versuchen, cooler zu sein als er. Und das ist schwer, aber sie hat es trotzdem geschafft. Äußerlich. Obercoole Posen, breite Jeans, oversize-bauchfrei-T-Shirts, Ohrwürmer von den neuesten bekanntesten (englischen) Popsongs, Sneaker mit hohen Sohlen und zu langen Schnürsenkeln... Aber dazu kommt in diesem Buch noch mehr und genaueres.
Eine sehr wichtige Info: Feldmausina ist umgezogen und besucht jetzt die Schule, auf die auch Ponita geht!

Übrigens: Die Kapitel von "Ponita & Wolfiana im Gymnasium" sind jeweils aus der Perspektive einer Hauptperson geschrieben, damit du die Story vielleicht besser verstehst.

Falls du Interesse an diesem Buch hast, die vorigen Bände aber noch nicht gelesen hast und auch nicht lesen willst, kannst du den Buchtrailer zu "Ponita & Wolfiana/Ponita & Wolfiana in der Schule" schauen.
Hier der Buchtrailer:


(Persönliche Empfehlung der Autorin: Schau ruhig noch ein paar andere Filme von "AS Films", das ist nämlich mein YouTube-Kanal. Die Filme produziere ich zusammen mit einer Person, die regelmäßig gute Ideen für "Ponita & Wolfiana" einbringt! ☺
Der Link zum Kanal:
@ASFilms2024
Viel Sapß!)

Ponita und Wolfiana sind sich sicher, dass dein Interesse ganz bald zu ihnen zurückkommen wird (falls es überhaupt bei den Filmen ist). 😉

Viel Spaß beim Lesen!


Mai 2025

S. N.



 1. Ponita

Hazian

Kennst du mich noch? Ich bin's, Ponita Nowak!
Falls du's noch nicht weißt: Wir haben jetzt Schuluniformen! Ich persönlich finde sie gut. Sie sind zwar vielleicht ein bisschen retro, aber dafür schlicht, nicht zu extravagant und bequem. Na ja, bis auf die Krawatte, aber die Lehrer nehmen es nicht so genau, ob man wirklich eine trägt. Ansonsten besteht die Uniform aus einem Polo-Shirt und entweder einem Rock oder einer Hose, je nachdem, ob man ein Mädchen oder ein Junge ist. Aber nicht alle tragen die Schuluniform. Bisoumes und Tigia, die neulich so einen Dauerstreit haben, tragen einfach ihre normale Kleidung, obwohl alle eine Uniform bekommen haben. Ihnen geht es seit letzter Zeit nur noch darum, cooler zu sein als der andere. Ich weiß nicht, warum.
Bisoumes führt... noch. Tigia hat auch ihre Freunde. In dem Fall bin ich für Bisoumes, nur bin ich mir nicht sicher, ob das noch lange so bleiben wird. Neuerdings tickt er nämlich ein bisschen aus. Er ist gar nicht mehr so richtig mit Hanusz und mir befreundet, weil wir nicht so cool sind, nutzt Pumos aus und lernt gar nicht mehr.
Aber zurück zu den Krawatten, die du wahrscheinlich gerade wieder vergessen hast: Ich sagte, manche haben keine, weil sie so unbequem sind. Andere können sich aber gar keine leisten... Beziehungsweise konnten sich keine leisten. Mit diesen "anderen" meine ich Wolfiana. Kennst du sie noch? Guten Morgen, Wolfiana Kremlin; mit vollem Namen Wolfiana Wolfiasia Wolfatiankowa Wolfimirowa Kremlin! Meine Erzfeindin! (Oder Ex-Erzfeindin, denn in letzter Zeit mache ich kaum noch was mit ihr, worüber ich SEHR froh bin!!!) Die, die mich immer gemobbt hat und deren Vater Wolfimir Wolfimirowitsch Kremlin ein klappriges uraltes Auto fährt, was gar keins ist. Vielmehr ein rostiges Gestell aus Metallstangen, Glasscheiben, Gummireifen und Stofffetzen. Aber diese Info ist nicht mehr aktuell! Seit gestern fährt er einen protzigen, rot glänzenden Merzedes-Benz... Wobei, eher einen Fake-Merzedes-Benz. Der ist aber trotzdem niegelnagelneu und blitzeblank poliert. Und Wolfiana trägt natürlich seit gestern eine Krawatte, die (aufgepasst!) NICHT fransig und ausgeblichen ist! Eine schicke rote. Seit wann kann sie sich das bitte leisten??? Diese Frage hab ich mir wirklich gestellt. Und die Antwort war die: Ihr Vater hat einen neuen Job! So einfach ist das! Was ist er denn?, frag ich mich! Politiker? Beamter? PRÄSIDENT?! Sowas in der Art.
Verrückt, ne? Wie sehr bei den Kremlins alles davon abhängt, was Wolfimir Kremlin beruflich macht! Total cringe, würde Bisoumes jetzt sagen (seine angebliche "Coolness" besteht nämlich auch darin, Slang zu reden). Und ich sehe das auch so. Das ist so. Cringe. Im Ernst.

Inzwischen ist der Lerndruck stärker geworden. Ich komme damit zurecht, weil ich (auch wenn das vielleicht angeberisch klingt) gut lerne und in allen Fächern außer Sport gut bin. Schön und gut. Bei mir ist also alles tippitoppi. Um mich braucht sich keiner Sorgen zu machen. Um Hanusz schon. Ich mache mir jedenfalls Sorgen um ihn. Keine großen. Trotzdem. Er hasst den Lerndruck. Er hasst Schulstress, Pflichten und alles, was damit zusammenhängt. Alles, was seine Freiheit begrenzt und ihn seiner Freizeit beraubt. Und warum hasst er das alles? Weil er Freiheit liebt. Und braucht. Wenn wir einen Test schreiben, fängt er irgendwann an, seine Umgebung auszublenden, das Blatt, das vor ihm auf dem Tisch liegt, umzudrehen und mit den Gedanken abzudriften. Das tut er bewusst. Er widersetzt sich dem Lerndruck, um seine Freiheit zu haben, und dafür bewundere ich ihn aufrichtig. Nur als Freundin, wohlgemerkt. Ich widersetzte mich dem Lerndruck nun mal nie, weil er mich nicht stört! (Übrigens: Auf die Idee, sich in ein Huhn zu verlieben, ist vermutlich noch kein Pferd gekommen. Ich auch nicht!!!)
Wenn Bäriko Brumm eine Unterrichtsstunde hat, fragt Hanusz ihn öfters, ob er in die Schulbibliothek gehen darf. Soweit ich weiß, liest er dort Geschichtsbücher, die ihn interessieren. Wenn Bäriko Brumm es ihm erlaubt. Was er meistens tut.
Eine andere Art von Widerstand ist die: An Schulschluss knallt (ja!!!, knallt!!!) Hanusz seine Schulhefte und Hausaufgaben so verachtungsvoll und hasserfüllt in seinen Rucksack wie kein anderer Hahn in seinem Alter auf der Welt. Apropos, jetzt ist Schulschluss! Ehrlich gesagt bin ich auch erleichtert und freue mich. Vielleicht kann ich mich ja spontan mit ihm verabreden und ein bisschen mehr über seinen Widerstand erfahren. Was er noch so vorhat, ob er ein interessantes Buch gelesen hat, was seine Eltern über Lerndruck und Freiheit denken...
Da ist er! Meine Eltern erlauben es mir, mich spontan mit Freunden zu treffen. Solange ich spätestens um halb 6 zu Hause bin.
Okay, aus Verabredung wird heute wohl nichts. Und morgen und übermorgen wahrscheinlich (höchstwahrscheinlich) auch nicht. Da ist Hanusz, klar. Aber er ist nicht allein. Da sind noch ein Hase und ein Luchs. Beides Jungs. Ich weiß, was das bedeutet.
Sie sind seine Freunde.
Mit denen er sich super versteht.
Mit denen er sich trifft.
Mit denen er sich über Freiheit, Lerndruck, Geschichte und Politik austauscht.
Mit denen er lacht und spielt.
Ich bin Luft. Was heißt schon "eine Freundin"? Eine Schulkameradin. Eine Stute. Vielleicht noch 'ne Polin. Aber kein Junge. Kein Freund.
"Hazian!", ruft Hanusz. Das höre ich.
Hazian ist der Hase.
Sie lachen.

 

Soße

Ich merke, dass Wolfiana frühreif ist. Sie will den Jungs gefallen. Na klar, du glaubst mir nicht. Weil du die alte Wolfiana vor Augen hast. In einem Wort, in der Grundschule war sie ABSCHRECKEND. Laut, frech, chaotisch, gemein, schmuddelig, verzogen und was nicht noch alles abschreckendes. Schmatzt, schlürft, ruft rein, meldet sich nicht, verprügelt, mobbt, beleidigt. Aber das ist Schnee von gestern. Natürlich ist sie im Grunde immer noch die, die sie damals war. Ihr Herz ist immer noch aus Stein und mit kaltem Glibber beschmiert. Sie hat immer noch nur böses im Kopf. Aber all das kann sie jetzt mit Leichtigkeit überspielen. Sehr praktisch ist dafür vor allem, dass Wolfimir jetzt so viel Geld hat und ihr alle Luxusartikel kauft, die sie braucht, um sich von der besten Seite zu zeigen. Ich sehe, dass sie Kunstwimpern hat. Und das in der fünften! Sie ist gerade mal 11. Das ist wirklich übertrieben. Trotzdem, ihr Verhalten zeigt schon Wirkung! Und wie verhält sie sich? Das fragst du natürlich. Zickig. Sie verhält sich zickig. Nicht mehr abschreckend, nur noch zickig. Sie ist jetzt eine Zicke. Und inzwischen die Drittcoolste der Klasse. Ich finde sie gar nicht cool, bloß zickig. Und weil sie so zickig ist und den Jungs gefällt, gefällt sie auch den Mädchen. Also ist sie beliebt. Und in unserer Schule heißt beliebt gleich cool. Der Klassencoolste ist Bisoumes, dann kommt knapp nach ihm Tigia und dann auch schon Wolfiana! Das ist gefährlich. Was die meisten nicht begreifen. Ich glaube, nur Hanusz und ich begreifen das. Obwohl ich mir bei Hanusz gar nicht so sicher bin. Er spricht nie mit mir über dieses Thema. Und in Zukunft werde ich auch keine Chance dazu mehr haben, mit ihm darüber zu reden. Weil Hazian jetzt da ist. Er heißt Hazian Ohrt. Und wie der Luchs heißt, weiß ich inzwischen auch. Luchsa Pinslego. Luchsa ist sein Spitzname. Eigentlich heißt er Luchsuš Pinslego. Ausgesprochen: Luchsuch. Aussprache Hazian: Hasian. Aussprache Hanusz: Hanusch. Ganz klar: Hazian und Luchsa sind Polen. So wie ich. Eigentlich. Aber ich bin nicht mehr so polnisch. Ich fühle mich fast deutsch. Hanusz nicht. Er ist stark von Vaterlandsliebe geprägt und fühlt sich sehr verbunden zu seiner Heimat und zu denen, die so sind wie er. Und das sind Hazian und Luchsa bestimmt. Sie sind nicht auf dieser Schule, laufen den Heimweg seit ein paar Wochen aber immer gemeinsam mit Hanusz. Ich sehe sie dann und kann den Blick nach einer Weile nicht mehr von ihnen wenden. Hanusz denkt nur noch an Hazian und Luchsa. Ich muss mich mit Feldmausina zusammentun. Was schwierig ist. Wir beide verstehen uns zwar gut und sind Freundinnen, aber Feldmausina hat nie Zeit für mich. Weder während der Schule noch am Nachmittag. Am Nachmittag, kurz nach Schulschluss, will sie normal nach Hause gehen, aber Wolfiana kommt in letzter Sekunde auf sie zugerast und hält sie auf. Immer, jeden Tag. Und dann mobbt sie sie so lange, bis sie selber von ihrem Vater gerufen wird, und dann bin ich schon längst zu Hause. Genau: Nach der Schule legt sie ihre zickige Maske ab und wird wieder abschreckend. Aber viel wichtiger ist, was sie während der Schule macht. Weil ich weiß, was sie dann macht. Ich kann es dir sagen. Sie macht genau das: An der Krawatte zupfen, so tun, als würde sie lernen, sich auf ihrem Stuhl zum Jungs-Tisch hinüberlehnen, in der Pause heimlich und fast unbemerkt Lippgloss auftragen, Tigia ausnutzen, mit den Augenlidern (mit sichtbaren Kunstwimpern!) flattern, sich bei Bisoumes einschleimen. Der findet das (aus welchem Grund auch immer) gut und lässt sich das gefallen! Ich hab's ja gesagt, er tickt ein bisschen aus! Jedenfalls sind die beiden jetzt schon totale BFF. Und das bedeutet in dem Fall nicht Best Friends Forever, sondern Best Fake Friends. Ich habe aber einen Verdacht. Bisoumes will, dass Wolfiana seine und nicht mehr Tigias Freundin ist! So hat er nämlich schon mal die Drittcoolste an seiner Seite und Tigia muss sich neue Freunde holen. Und Wolfiana findet das gut und bricht einfach so die Freundschaft mit Tigia, denn sie hat eine große Chance, noch cooler zu werden, wenn sie die Fake-Freundin vom Klassencoolsten ist. Bisoumes ist nämlich immer darauf aus, Tigia zu schaden, und Wolfiana nutzt das aus, um selber cooler zu werden. Verstanden? Es ist ja auch ganz schön kompliziert. Und eigentlich auch komplett sinnlos. Was bringt es einem, Klassencoolster zu sein? Also ich finde gar nichts.
In der Pause geht Wolfiana einer sehr verbotenen Beschäftigung nach: Sie verkauft eine leckere Soße aus der Dose an Pumos. Er braucht die, weil sein Mittagessen meistens fad schmeckt und die Soße das wieder aufpäppelt. Inzwischen ist er leider süchtig. Jede Pause kommt er schon freiwillig zu Wolfiana - Mit einem Fünf-Euro-Schein in der Pfote. Er ist schon seit einiger Zeit auffällig neutral, aber seit Wolfiana ihm diese komische Soße verkauft, zeigt er sich offen an der Seite von Wolfiana und Bisoumes. Obwohl die beiden ihn jeweils für die eigenen Zwecke schamlos ausnutzen. Das ist ein Teufelskreis. Aber ich beschäftige mich lieber nicht mit diesem Thema, weil ich es nicht mag. Wolfiana ist schon bösartig genug. Ich erzähle dir jetzt lieber Genaueres über Hazian und Luchsa. Ich weiß ja, dass sie eigentlich nett sind und ich auch gut mit ihnen befreundet sein könnte, wenn ich zu ihrer Gruppe gehören würde. Aber das geht nicht mehr. Ich hab die Chance verpasst und muss jetzt damit klarkommen, dass ich nun die Rolle der einzelgängerischen eifersüchtigen Stute spielen muss. Einzelgängerisch bin ich leider wirklich geworden. Eifersüchtig bin ich gar nicht. Aber egal.
Hazian scheint ein fröhlicher, intelligenter aber fauler Hase zu sein, der sehr ungern Sport macht, dafür umso lieber mit Hanusz über dessen Lieblingsthemen redet und gerne lacht. Er trägt die selbe Schuluniform wie Luchsa - das heißt, sie besuchen die gleiche Schule.
Luchsa ist viel sportlicher als Hazian und sogar auch als Hanusz, der gar nicht so schlecht ist. Er ist sehr stämmig und ein wenig rund. Er hat breite, starke Schultern (auf denen er Hazian vermutlich tragen könnte) und die Ärmel von seinem Hemd sind hochgekrempelt. Die Jungs an der Schule von Luchsa und Hazian tragen nämlich keine Polo-Shirts, sondern Hemden.

Manchmal hab ich das Gefühl, dass Tigia gar nicht so schlimm ist. Zu Coolheit gehört natürlich auch ein bisschen Zickigkeit dazu, aber bei ihr kommt die Zickigkeit von der obercoolen Kleidung. In der Grundschule kam sie mir wirklich wie eine Zicke vor, weil sie so schweigsam war. Aber dann stellte ich fest, dass auch das seine berechtigten Gründe hatte. Erstens war sie damals schüchtern. Zweitens wurde sie von Wolfiana unterdrückt und durfte nie das sagen, was sie eigentlich sagen wollte. Aber sie wollte nicht immer das sagen, was Wolfiana von ihr zu sagen verlangte. Deshalb sagte sie gar nichts. Auch eine Lösung. Hinzu kam, dass sie viel Druck und Stress hatte, an den sie ständig dachte. Ballett, Klavier, Mathe, Englisch. Alles am Nachmittag. Keine Freizeit. Stress pur. Null Spaß. Und diese Kurse hat sie immer noch. Übrigens: Sie findet das schon normal! Die Arme. Ihr Leben macht echt keinen Spaß. Inzwischen ist sie gesprächiger geworden, weil Wolfiana sie einigermaßen in Ruhe lässt. Und das liegt daran, dass Wolfiana ihr eigenes Ding macht und/oder sogar mit Bisoumes kooperiert. Dieser ganze Wettstreit mit Bisoumes ist sehr belastend für jemanden, der sowieso so einen vollen Kopf hat. Da bleibt keine Zeit für Freundlichkeit. Ich kann sie verstehen. Vielleicht wäre sie eine gute Freundin. Wenn ich ihr helfe, wieder auf die richtige Bahn zu kommen.

 

 

 

 





2. Tigia

Ohne Hobby und Sinn


Ich bin Tigia. Über mich hast du in den ersten Bänden noch nicht so viel erfahren.
Mein Nachname ist Shi. Meine beiden Eltern kommen aus China, aber ich wurde in Deutschland geboren. Manchmal besuchen wir in den Ferien meine Großeltern. Meine Eltern heißen Ting und Taigsha Shi. Klingt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich. Ich weiß. Und du weißt ja, dass sie aus China kommen! Da sind die Namen anders als hier. Dort nennt man übrigens den Nachnamen zuerst, mein Vater wird also so genannt: Shi Ting. Außerdem sind die Namen nicht so lang wie hier.

Alle denken, dass Bisoumes einfach nur austickt. Sich später irgendwann mal wieder beruhigt und merkt, dass das mit der "Coolness" total "cringe" war. Nöpp. Ist sein voller Ernst. Keiner weiß das, aber: Er hasst mich schon seit dem ersten Tag in der Grundschule, genauso doll wie jetzt. Nur da hat er es nicht so vor allen gezeigt, und jetzt lässt er seinen Hass raus. Du findest jetzt sicher, dass das total pessimistisch von mir ist. Du sagst jetzt: "Du hast doch bloß viel zu viel Stress und hast halt keinen Bock, mal was positiv zu sehen." So ist das nicht! Ich frage jetzt dich: Hattest du in deinem Leben vielleicht auch schon mal Pech??!! Hattest du schon mal das Gefühl, dass jemand aus deiner Klasse dich hasst? War das vielleicht wirklich so? Bist du nicht auch manchmal ein bisschen pessimistisch? Und ich bin ja gar nicht mal pessimistisch. Ich hab ein gutes Gespür für sowas, ob jemand mich wirklich hasst oder mag oder ob jemand nur so tut. Ich merke sowas. 🐅🐯
Und Bisoumes hasst mich in dem Fall. Das mit der "Coolness" macht er nur, um einen Grund für den Wettstreit mit mir zu haben. Und jetzt hat er mir auch noch Wolfiana geklaut und sie auf seine Seite gezogen. Aber ich kann nicht sagen, dass nur er das wollte. Sie ist extra zu ihm rübergewechselt. Eigentlich hat mir schon immer irgendwas tief in meinem Inneren deutlich gesagt: Wolfiana nutzt mich aus. Sie ist keine richtige Freundin. Ihre Freundschaft ist fake. Sie braucht mich nur, um mich in eine schlimme Situation nach der anderen zu ziehen und eine Freundin an der Seite zu haben, wenn Hasinde kommt und eine Standpauke hält. Aber ich wollte nichts davon hören. Ich glaubte lieber, Wolfiana würde mich wirklich mögen. Jetzt hat sie mich verraten. Mein Instinkt wusste es. Ich wollte es nicht wissen. Weil ich sonst außer ihr keine Freunde hatte. Und das, weil die, die meine Freunde hätten sein können, Bisoumes' Freunde waren. Er hätte nicht zugelassen, dass sie sich mit mir angefreundet hätten. So war er und so ist er. Aber meine Freunde, die will er für sich haben. Auch wenn sie gar keine Freunde sind. Er will alle auf seiner Seite haben. Ich bin jetzt auf mich allein gestellt. Und solange Ponita, Hanusz, Emma, Feldmausina und (vielleicht) Pumos auf Bisoumes' Seite sind, kann (oder darf) ich mich nicht mit ihnen anfreunden. Ich würde es natürlich gern tun.

Dieser Wettstreit geht mir eigentlich total auf die Nerven. Inzwischen hat er sich so extrem ausgeweitet, dass ich ihn nicht mehr vor meinen Eltern geheimhalten kann. Die ganze Wahrheit ist rausgekommen, als meine Eltern gesehen haben, dass die anderen Tierkinder ihre Schuluniformen tragen. "Warum trägst du deine Uniform nicht?!", hat Mama mich plötzlich angeblafft. Und weil ich so unvorbereitet war, hab ich alles gestanden. Natürlich waren meine Eltern gar nicht begeistert. Mama hat gesagt: "Dieser komische Streit hält dich vom Lernen ab, Tigia! Das ist eine sehr schlechte Beschäftigung während dem Unterricht! Du sollst dich nicht bloß auf dein Aussehen konzentrieren! Denk auch nicht an Freundschaften! Das einzige, woran du während der Schule denken sollst, sind die Hefte, die vor dir liegen!" Das weiß ich noch genau. Du fändest es bestimmt peinlich, wenn du so eine Mutter hättest wie ich. Weil deine nicht so ist. Ich weiß, bei mir ist alles ein bisschen anders. Nicht so durchschnittlich. Eigentlich sollte ich es nicht wissen, aber wie meine Mutter das mit dem Lernen sieht, so sehen es viele Mütter in China. Da ist das ganz normal. Meine Mutter denkt wie die in China.
Du musst dir vorstellen, dass der Lerndruck dort noch viel höher ist. Vielleicht gibt es das Problem, dass du dir das gar nicht vorstellen kannst. Die Lehrer sehen das mit dem Lerndruck nämlich nicht gerade locker. Als wir einmal meine Großeltern besucht haben, habe ich irgendwo an der Wand von einem Schulgebäude gesehen, dass Fotos von den Schülern aufgeklebt worden waren. In der Reihenfolge, wer am besten lernt. Sowas ist unfair. Man sollte einen nicht danach bewerten, ob er besser oder schlechter lernt. Alle sind gut, so wie sie sind. Damit meine ich auch dich. Lass dich nicht davon beeinflussen, was andere über dich denken. Ich weiß, viele sagen das so. Und in diesem Alter ist es sehr schwierig, sich nicht davon abhängig zu machen. Aber trotzdem: Im Grunde haben alle, die das sagen, recht. Ich selbst schaffe es ja auch nicht immer, so weiterzumachen, wie ich bin, unabhängig davon, was die anderen über mich denken. Vor allem dieser Coolheits-Wettstreit mit Bisoumes macht es mir schwer, das zu tun. Denn wenn man cooler sein will als der andere, ist man sehr abhängig davon, dass die anderen einen cool finden. Deshalb hasse ich das so. Ich habe keinen Bock auf diesen Teufelskreis! Morgen ziehe ich die Schuluniform an. Ich will nicht mehr immer gegen die Regeln verstoßen, nur weil Bisoumes mich herausfordert und mir die Freunde klaut. Die Schuluniform ist eh viel praktischer als breite Jeanshosen und lächerliche T-Shirts. Ich muss nicht so vorsichtig mit der Uniform sein. Sie darf schmutzig werden. Weil alle eine haben und das dann nicht so auffällt. Mein Instinkt sagt mir, dass ich das ganze Getue um den Wettstreit lassen soll. Bisoumes kann doch meinetwegen Klassencoolster sein, und ich brauche auch keine Fake-Freunde, die sagen, dass ich cool bin! Das ist mir eigentlich alles gar nicht wichtig. Nur weil ich schon so fest in diesem Kampf-Modus bin, weiß ich gar nicht mehr richtig, was mir überhaupt wichtig ist. Ich habe kein Hobby, deshalb kann mir auch kein Hobby wichtig sein. Viellicht werde ich später mal Balletttänzerin, Pianistin, Mathematikerin, Sportlerin oder Chinesisch-Englisch-Dolmetscherin. Weil ich diese Kurse besuche. Aber das macht mir alles keinen Spaß. Es klaut mir nur die Zeit und den Spaß an der Kindheit. Ich habe keine Freizeit. Immer nur Schule, Schule, Schule und Kurse, Kurse, Kurse. Ich habe es so satt. Und doch lebe ich mein Leben. Irgendwie schaffe ich das. Obwohl Schule und Kurse mir gar nicht wichtig sind! Mir ist zurzeit gar nichts wichtig. Vielleicht wenn überhaupt Freizeit. Aber ich habe kein Hobby, dem ich in meiner Freizeit nachgehen könnte. Also wäre die Freizeit bloß langweilig und ich würde meine Zeit damit vergeuden, rumzusitzen und vor mich hin zu grübeln. Du merkst, das ganze Thema langweilt dich jetzt schon arg. Du gähnst demonstrativ und sagst: "Ach Tigia, das ist ja wieder total pessimistisch von dir. Ich finde das, was du da erzählst, gar nicht spannend. Außerdem übertreibst du und willst mich bloß demütigen." Nein, nein und nochmals nein! Du kannst dir mein Leben einfach nicht vorstellen.
Ich bin nicht verliebt. Dafür ist es natürlich auch noch viel zu früh. Aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn ich verliebt wäre. Dann wäre mir jemand wichtig. Aber ich weiß wenig über dieses Thema. Mir erzählt nie jemand etwas darüber. Zuhause ist das tabu. Und in der Schule werde ich auch überhaupt nicht informiert. Ich weiß schon jetzt: Mir werden immer alle alles darüber verheimlichen und irgendwann, wenn ich es gerade am wenigsten brauche, kommt meine Mutter zu mir und sagt: "Jetzt ist es Zeit, dass du heiratest. Ich hoffe, du hast schon einen guten Tiger kennengelernt. Am besten verhilft er dir zu einem guten Job und er bringt dir möglichst viele Vorteile." Genau das wird sie sagen. Ich sehe sie vor mir. 💔🗙
Im Bezug auf all das, was ich hier gerade geschrieben habe, macht leider sehr wenig, was ich tue, Sinn. Vielleicht würde mir eine echte Freundschaft guttun.
 
 
 NF statt BFF
 
Ich sitze auf dem Fahrradsattel und trete in die Pedale. Ausgerechnet jetzt regnet es. Ich habe keine Regenkleidung dabei. Okay, passiert öfters. Kein Grund zur Aufregung.
Heute habe ich die Schuluniform wirklich angezogen. Ehrlich gesagt finde ich, dass sie mir viel besser steht. Hellblaues Polo-Shirt, dunkelblaue Krawatte mit hellblauen Streifen, dunkelblauer Faltenrock. Wenn man es genau betrachtet, eigentlich auch ganz stylisch. Jedenfalls sind Faltenröcke jetzt im Trend, also könnte ich vor Bisoumes auch notfalls so tun, als hätte ich die Schuluniform nur ganz zufällig an. Worauf ich keinen Bock hab. Weil ich diesen ganzen schlimmen Teufelskreis ja eigentlich beenden will.
Ich bin nass. Nur noch wenige Meter bis zur Schule. Auch mein Fahrrad trieft vor Nässe. Jetzt steige ich ab, klappe den Fahrradständer aus, schließe mein Schloss um den Vorderreifen und die Stange, die Lenker und Sattel verbindet, und laufe auf das Schulgebäude zu. Dort steht es, groß und stabil. Das Gebäude, in dem die Tierkinder an ihre Schulpflicht gebunden werden. Ich habe keine Lust. Aber ich muss dort hin, wie jeder. Und ich weiß, dass es viel besser für mich ist, wenn ich mich der Schulpflicht nicht widersetze. Ich bin ja auch verwöhnt. Diese Schule ist ein Luxus, denn es ist ja keine normale staatliche Schule, sondern eine Privatschule, eine mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Trotzdem. Die Grundschule hätte meiner Meinung nach doch schon völlig gereicht! Dort habe ich Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. Und noch ein paar Sportarten. Das reicht doch für das Leben. Fand ich damals. Inzwischen habe ich eingesehen, dass es auch ein Luxus ist, dass ich überhaupt zur Schule gehen darf. Früher durften die Mädchen ja überhaupt nicht zur Schule, nur die Jungs. Und noch früher waren die meisten Analphabeten. Ich weiß. Ja, ja. Aber ich freue mich trotzdem immer auf freie Tage und jetzt, wo ich diesen verflixten Wettstreit mit Bisoumes hab, will ich am Morgen meistens gar nicht aufstehen, weil ich weiß, dass mich die Schule erwartet und somit auch eine neue Herausforderung. Solche momente hattest du in deinem Leben bestimmt auch schon mal... Mehr als ein mal. Dann müsstest du mich eigentlich doch verstehen.

Mit jedem Schritt, der mich der Schule näher bringt, steigt der Widerwillen in mir und die Angst, Bisoumes zu begegnen. Er darf nicht denken, dass ich aufgebe! Dass ich kapituliere! Dass ich mich ergebe! Dass er freie Bahn hat! Ich werde alles dafür geben, dass er all das nicht denkt! Mein Entschluss steht fest: Ich bekämpfe ihn! So schlecht es für mich ist, ich kann nicht kampflos dastehen und ihm die Hand geben! Keiner darf merken, dass mir das alles bis zu den Ohren raushängt! Ich werde den Wettstreit weitermachen, damit Bisoumes nicht auf dumme Gedanken kommt. Ich werde ihm auf Schritt und Tritt folgen und ihm die Suppe versalzen, so gut es geht. Ich werde mich wehren und allen zeigen, dass ich dazu fähig bin. Ich werde mich unbeliebt machen, was mir egal ist. Ich werde nicht aufgeben, bis Bisoumes zugibt, dass der ganze Wettstreit lächerlich und unnötig ist. Und wenn ich nie wieder Freunde haben werde!

***

So dachte ich vor noch wenigen Minuten. Und ich habe auch alles getan, was ich tun wollte. Ich habe Bisoumes genervt und genervt und war trotz der Schuluniform cool, aber es hat mir alles keinen Spaß gemacht. Und das habe ich geahnt.
Aber was ich nicht geahnt habe, ist, dass ich doch noch eine Freundin gefunden habe - Eine NF, New Friend; NICHT BFF, Best Fake Friend. Diesen Begriff habe ich von Ponita, mit der ich mich angefreundet habe. Ich sage das keinem, aber ich bin unglaublich froh darüber, endlich eine echte Freundin zu haben. Ich habe immer versucht, mir einzureden, dass ich keine Freunde brauche, aber jetzt sehe ich, wie glücklich mich Freundschaft machen kann. Die erste wahre Freundschaft in meinem Leben. Ponita ist auch eigentlich eine Außenseiterin. Bisher war sie immer für Bisoumes, aber jetzt, wo sie mich hat, findet sie sein Verhalten sonderbar und verrückt. Ihre Freunde haben sie nicht verraten wie meine mich, aber sie haben sie vergessen. Feldmausina hat keine Zeit für sie, weil sie von Wolfiana genervt wird, und Hanusz hat jetzt 2 andere Freunde. Ponita erzählt mir gerade, wie sie heißen: Hazian Ohrt und Luchsa Pinslego. An Schulschluss werden wir Hanusz, Hazian und Luchsa gemeinsam beobachten. Ich würde sie auch gerne mal gesehen haben.
Du fragst dich, wie das mit der Freundschaft so schnell gehen konnte. Du sagst: "Aber Tigia, vor 15 Minuten warst du doch noch total einzelgängerisch!" Das stimmt. So schnell kann das manchmal gehen. Es war übrigens Ponita, die mich angesprochen hat. Eine ganz einfache Frage. "Tigia, magst du Mathe?" Und - schwupp - sind wir Freunde. 2 Außenseiter, die keine richtigen Freunde haben und sich gegenseitig schon immer ziemlich sympathisch fanden.
Ich überlege, ob ich meinen Eltern sage, dass ich jetzt eine Freundin habe. Denn ich bin mir nicht sicher, ob sie das gut finden.

Jetzt bin ich mir sicher. Ich sage es ihnen. Es ist Zeit vergangen, ich habe gut gelernt und die Schuluniform getragen, jetzt ist Pause und ich habe jemanden, mit dem ich reden oder spielen kann. Die Freundschaft hat nur Vorteile für mich. Ponita lernt gut und bringt mich vielleicht langsam vom Wettstreit ab und dem Lernen näher. Das werden meine Eltern bestimmt zu schätzen wissen...
Außerdem sind wir beide zusammen ein starkes Team und falls meine Eltern nicht so begeistert sind, sind es doch bestimmt noch die von Ponita... ☺
 
🐅🐎

  

 

 

3. Bisoumes & Wolfiana

Bisoumes

 Wolfiana, Tigia und Co.: Meine Meinung

Tigia hat gelogen. Sie hat nämlich gesagt: Keiner weiß das, aber: Bisoumes hasst mich schon seit dem ersten Tag in der Grundschule, genauso doll wie jetzt. Das stimmt aber nicht. Sie ist bloß total pessimistisch - dadurch, dass sie's abstreitet, nur umso mehr!!! - und dazu voll die Lügnerin und Petze. In der ersten und zweiten Klasse hatte ich noch keinen Hass auf sie, sondern auf Wolfiana. Damals war ich noch voll UNCOOL und gar nicht ich selbst. Inzwischen hab ich kapiert, dass Wolfiana eigentlich richtig GEIL ist. Wir beide sind uns nämlich vom Wesen her ziemlich ähnlich, ist mir aufgefallen. Wolfiana hat neulich 'ne ULTRAKRASSE Ausstrahlung und durch sie werde ich arg beliebter.
Dir ist sicher aufgefallen, dass ich alle Slang-Wörter großschreibe. Das soll betonen, dass ich nicht nur cool rede, sondern auch denke und schreibe!!! Im Gegensatz zu Tigia, ha! Ponita und Tigia sind jetzt Freunde. Pah. Als ob das so bleiben wird. SAFE, die machen das nur, weil die beide keine Freunde haben. Eigentlich verstehen sie sich mega schlecht und konnten sich gegenseitig noch nie ausstehen. Ponita kann Tigia in Wahrheit überhaupt nicht ab.
Wolfiana hat mir alles über ihre Fake-Friendship mit Tigia erzählt. CRINGE, ey! Ehrlich! Tigia kann sich gar nicht wehren und will's auch gar nicht! Und Wolfiana ist echt asozial. Was ich irgendwie stark finde. Traut sich halt nicht jeder. Tigia zum Beispiel nicht. Sie tut zwar so TRENDY, aber eigentlich ist sie voll OUT.
Früher fand ich Wolfiana STRANGE, und hab sie gehasst, gerade weil sie so ASI und AGGRO war. Aber jetzt finde ich das super, weil das halt irgendwie cool ist und das ist ein Vorteil für mich, denn mein Ziel ist ja, meinen Klassencoolster-Status aufrechtzuerhalten, um Tigia zu nerven.
Pumos ist eindeutig auf meiner und Wolfianas Seite. Er kauft ihre Soße und seine Brotbox gehört mir. Sage ich jedenfalls. Die Bisoumes-Brotbox, die eigentlich Pumos' Eigentum ist. Aber er lässt sich das gefallen, solange er seine Soße von Wolfiana kriegt und durch mich cooler wird. Nicht sehr willensstark, sag ich dir. Muss er aber auch nicht sein. Ist viel besser und einfacher für mich, wenn er einfach nur anhänglich ist, und nicht eigensinnig. Vielleicht noch'n bisschen abhängig. Juckt doch keinen.
😝
🦬 🐺🐈

 Ich bin gerade zu Hause in meinem Zimmer auf meinem Stuhl vor meinem Tisch über das Klassenfoto gebeugt. Jetzt beschreibe ich dir mal meine ganzen Klassenkameraden, die gerade ihre neuen Schuluniformen angezogen haben. (Ich hab auch eine an, schlimm für meinen coolen Status!)
Vorne stehen Ponita, Hanusz und Feldmausina. Quereinsteigerin. Scheint nicht so viel Geld und irgendwas gegen Wolfiana zu haben. Ist 'ne Feldmaus. Die nehm' ich mir später noch mal vor, denn wer Wolfiana gefährdet, gefährdet auch mich und meine COOLNESS!!! Ich werde allen auf die Nase binden, dass Feldmausina alle Streite mit Wolfiana anfängt, auch wenn ich weiß dass das nicht stimmt und eine dreiste Lüge ist, aber das ist mir egal, denn meine Coolness ist durch diese mickrige Feldmaus in Gefahr und könnte ins Wanken kommen, und das muss ich mit allen Mitteln verhindern! Wolfiana streitet auch längst ab, die Streite mit Feldmausina anzufangen. Gut von ihr. Ist nützlich für mich. Pumos ist auch gegen Feldmausina und für uns. Emma ist neutral. Tigia beschäftigt sich nicht mit sowas. Der Rest ist für Feldmausina. Also Ponita und Hanusz und die Lehrer Hasinde Hüpfer und Bäriko Brumm. Und Swana Quakens und Zebras Streif und so weiter.
Ponita hat eine blonde Mähne und braunes Fell, Hanusz ist ein mickriger hellbrauner Hahn mit rotem Hahnenkamm und Kehllappen, ohne Muskeln, aber dafür viel Hirn, das er nicht für's Büffeln verwendet, was ich unschlau finde. Pumos hat schon Bartflaum und sieht auf dem Foto sehr grimmig aus. Neben ihm stehe ich, und daneben Wolfiana.
Das nächste Kapitel ist von ihr.

 

Wolfiana

 Die ganze Wahrheit:
Warum ich alles hasse

Manchmal hab ich das Gefühl, dass meine Eltern sich nicht mit mir beschäftigen wollen und dafür viel lieber anderes tun. Der Beweis: Sie arbeiten super lange, machen dauernd Dienstreisen und sperren mich in meinem Zimmer ein, wenn ich was mit ihnen machen will. Aber ich glaube, das bilde ich mir alles nur ein. Ich will das nicht denken. Soll ich vielleicht auch gar nicht, weil es ja wahrscheinlich nicht stimmt. Dieser Gedanke wäre zu schmerzhaft. Und zu unrealistisch. Warum hätten sie mich sonst bekommen? Viel eher denke ich, dass ihr Verhalten an mir persönlich liegt. Es kann ja sein, dass ich nicht ganz normal bin. Obwohl ich mich normal fühle. Oder ich bin zum Beispiel böse. Und das, glaube ich, stimmt wirklich! Darauf bin ich außerdem stolz! Ich bin böse. Eine böse Wölfin. Böse Leute fügen anderen Leid zu. Weil sie den Bedarf danach haben. Und den habe ich. Es gibt Sekunden, in denen das passiert. Wenn ich sehe, wie glücklich die nicht Bösen (also die Guten) sind, spüre ich, wie unglücklich ich bin, und versinke in einem tiefen Loch aus negativen Gefühlen. Dann überwältigt mich ein unendlicher Hass auf die Welt und alle anderen, vor allem auf die Guten glücklichen, deren Spaß sie nicht mit mir teilen wollen. In diesem Moment kommen sie mir vor wie Feinde. Erzfeinde. Und das sind sie ab da auch. Ich fange an, sie zu ärgern, zu mobben, zu verprügeln oder auszulachen, damit sie keinen Spaß mehr haben und dieser glückliche Spaß an mich verfällt. Aber dann spüre ich, dass mich das nicht glücklich macht. Nur schadenfroh. Und nach der Schadenfreude kommt wieder alles Negative auf mich zurück. Ich kann nicht mehr entrinnen und ich kann auch nichts ändern. Höchstens kann ich versuchen, das alles zu überspielen. So zu tun, als wäre bei mir alles tippitoppi - so, wie es bei den anderen ist. Damit die anderen mich nicht ausgrenzen, ausschließen, auslachen, ausmobben. Damit sie all das nicht tun - und bestenfalls sogar das Gegenteil tun: Mich mögen! Das ist inzwischen mein Ziel. Die anderen sollen mich mögen und ich versuche, ihnen zu gefallen und dann heimlich doch zu schaden. Ich kann nicht anders, als anderen zu schaden! Wenn ich jemanden unglücklich gemacht habe, sind ich und die Welt quitt. Denn die Welt macht mich unglücklich, und das soll sie selbst sein. Zum Glück mögen mich auch einige (zum Beispiel Bisoumes), aber das zu erreichen war schwer und hart. Ich durfte meine Agression nicht mehr vor allen zeigen, nur unter vier Augen, damit nur das Opfer davon wusste. Und dieses Opfer ist Feldmausina. Ich hasse sie, seit sie sich mit 5 Jahren gegen mich gewehrt hat. Ich habe Ponita und sie entführt, aber sie haben Widerstand geleistet und mich in die Flucht geschlagen. Ich sehe sie noch vor mir, als wäre all das nicht vor 5 - 6 Jahren, sondern erst gestern passiert. Es gibt ein Bild, das mir nie wieder aus dem Kopf gehen will: Ponita und Feldmausina Arm in Arm, unzertrennlich, ein starkes Team, die besten Freunde. Und an dieser Freundschaft durfte und konnte ich nie teilhaben. Sie waren zu gut und ich zu böse. Der Anblick der beiden hat mich sehr... verbittert und verfolgt mich jede Nacht in meinen Träumen. Mein nachtnächtlicher Albtraum beginnt immer mit diesem Bild, dann kommt Bisoumes ins Spiel und wir beide mobben die BFF, aber ich halte das nicht aus, weil mich das nicht glücklich macht, und zerstreite mich mit Bisoumes, was Tigia dann ausnutzt und versucht, die alte Fake-Freundschaft mit mir wiederaufzunehmen... Ich wache schweißgebadet und schreiend auf und realisiere, dass das alles nur ein Traum war. Das passiert jede Nacht. Und wenn ich aufgewacht bin, kann ich nicht mehr einschlafen. Dann denke ich nach und jedes Mal überkommt mich die schmerzhafte Erkenntnis, dass so eine ehrliche, beschwerdenlose Freundschaft wie die von Ponita und Feldmausina bei mir nie möglich sein wird. Denn irgendwann bekomme ich immer das Bedürfnis nach Chaos, Schaden und Rache. Und dann zerbricht die neugewonnene Freundschaft, weil ich sie zerstöre. Mein Wunsch nach Rache ist zu groß. Mein Hass und meine Unglücklichkeit sind zu stark. Manchmal frage ich mich: Ist das Selbsthass? Hasse ich mich, weil ich böse bin? Das würde ich mir so erklären: Ich selbst bin für mich alles, das ganze Universum. Ich habe das Gefühl, dass ich alles kontrollieren kann und alle Unordnung von mir ausgeht. Und weil ich Selbsthass empfinde, hasse ich alles. Ich bin alles. Ich hasse mich. Ich hasse alles. Selbsthass. Bösartigkeit. Unglücklichkeit. Alles Negative hängt zusammen. Und ich hoffe, dass niemand mich durchschaut. Dass niemand mein inneres Chaos sieht. Dass keiner davon erfährt. Dass niemand an mir zweifelt. Dass ich meine wahre zerstörte Identität überspielen kann und so tun kann, als wäre ich normal, als wäre ich nie so gewesen, wie ich mal war. Als hätte ich der Außenwelt den Taifun, der in mir tobt und mein (Selbst)bewusstsein verwüstet, nie offenbart.
Und in dem Punkt kommt Babas neuer Job dazwischen. Du kannst dich noch daran erinnern, wie ich früher war. Die Kremlins waren eine zerstörte Familie ohne Glück und Geld. Letzteres ist neuerdings vorhanden. Baba hat einen viel besseren Job und wird super bezahlt. Und ich kann alle Kosmetikartikel kaufen, um mein schmutziges, zerfetztes Wölfinnengesicht zu überschminken. Bildlich gesprochen. Das heißt: Ich kann mich hübsch machen und allen zeigen, wer ich angeblich bin. Eine reiche, schöne Wölfin aus guter Familie, die immer cool bleibt und voll trendy ist. Und das gefällt den anderen. Sie finden mich cool und mögen mich. Die einzige, die mein wahres Gesicht kennt, ist Tigia. Und dafür verabscheue ich sie. Sie war die ganze Grundschulzeit über meine Fake-Freundin. Weil sie sonst keinen hatte. Sie weiß noch, dass ich sie unterdrückt, erpresst, angeschrien, beschuldigt und in schlimme Situationen reingezogen habe. Sie weiß, was ich vorhabe. Sie kennt mich zu gut. Und sie hat eine Nase für die Emotionen von anderen. Ich kann nichts anderes machen, als meine Mobbing-Taten ihr gegenüber abzustreiten. Ich muss das tun, um cool und beliebt zu bleiben.


Plötzliche Probleme,
die keine sind

Fiuuuuht! Hasinde pfeift zum Zeichen, dass Pausenschluss ist. Ich laufe an ihr vorbei zur Garderobe, setze ein übertriebenes Lächeln auf und zeige mit meinen Krallen das Peace-Zeichen. Sie nickt mir unsicher zu und versucht, ein schiefes, verunsichertes Grinsen zustandezubringen, was sie nicht schafft. Die Lehrerin hoppelt schnell weiter. Aha. Sie hat also Angst vor mir, weil sie mich noch von früher kennt. Aber zumindest schweigt sie, wenn es um mich geht.

Wir schreiben einen Test. Ich sitze zwischen Bisoumes und Hanusz. Hanusz ist ein Superhirn, soweit ich weiß. Ich werde versuchen, bei ihm abzuschreiben.
Mist. Plan gescheitert. Er starrt mich an - oder eher, er schaut durch mich hindurch. Und er schreibt nichts auf seinen Zettel. Er lernt nicht. Außerdem würde er es wahrscheinlich sehen, wenn ich heimlich spicke. Aber ich weiß gar nichts. Beim Mathe-Unterricht habe ich nicht zugehört. Ich versuche es bei Bisoumes. Ich
lehne mich zu seinem Tisch rüber, während ich so tue, als würde ich lernen. Zupfe an der Krawatte. Warte darauf, dass er zu mir schaut. Beachte bloß nicht diesen Hanusz. Hoffentlich petzt er nicht! Falls er mich sieht. Was ich leider nicht wissen kann.
So! Jetzt ist der Moment, mit ihm Augenkontakt aufzunehmen. Bisoumes dreht den Kopf zu mir. Ich flattere mit den Augenlidern, damit er auf meine Augen aufmerksam wird. Und, weil ich das immer mache. Er mag das! Ich zeige auf mich, ihn, meine Augen und sein Blatt. Er nickt. Juhu. Ich darf abschreiben. Und das tue ich.

Den Test hab ich dank Bisoumes überstanden. Hasinde ist, glaube ich, schon misstrauisch geworden, aber eine Standpauke hat sie mir erspart. Was ich seltsam finde, ist dass Hanusz mich beobachtet hat. Jede meiner genauen Bewegungen. Gepetzt hat er aber noch nicht. Und hoffentlich tut er's auch in Zukunft nicht.
Jetzt ist Schulschluss. Ich ziehe mir die Jacke über, schultere den Rucksack und laufe auf Babas neuen roten coolen Fake-Mercedes-Benz zu.
Irgendwie fühle ich mich beobachtet.
Hanusz!
Dieser lästige kleine Hahn. Ich drehe mich um, und natürlich ist er es. Er verfolgt mich. Peinliche Sache. Ich hoffe, Baba sieht das alles nicht vom Autofenster aus. Heute ist der einzige Tag in der Woche, in der er mich abholt. Bitte, Baba, sei unvorsichtig. Pass nicht auf. Schau schön auf dein Handy.
Hanusz bleibt stehen. Er schaut mir ins Gesicht. Er rennt nicht weg. Er scheint mich nicht im Auftrag von jemandem anderen auszuspionieren. Er versteckt sich nicht. Irgendwie ist es gruselig, ihm in die Augen zu schauen. Dort steht er, ein selbstbewusster kleiner Hahn mit viel Hirn und wenig Fett. Sein Kehllappen wippt langsam auf und ab. Sein Hahnenkamm bewegt sich mit dem Wind. Seine Augen bleiben starr und regungslos. Sein Schnabel bewegt sich keinen Millimeter. Aus ihm bekomme ich bestimmt nichts raus. Er scheint nicht vorzuhaben, etwas zu sagen. Ich ebensowenig.
Hanusz starrt mich an. Sein Blick ist so seltsam und unverwandt, wie ich es bei noch niemandem anderen gesehen hab. Jetzt fängt der junge Hahn an, sich zu bewegen. Den einen Flügel schiebt er in die Hosentasche. Mit dem anderen hält er seine lange Krawatte fest, die sonst mit dem Wind flattern würde. Er blinzelt mit seinen Hühneraugen.
Brrummm! Ich höre ein Geräusch, das von etwas hinter mir kommt. Baba! Das Auto! Baba hat den Motor angeschaltet! Mist! Erst jetzt erwache ich aus meiner Starre. Ich setzte notdürftig ein übertrieben künstliches schiefes Lächeln auf, winke Hanusz zu, reiße die Autotür auf und springe rein. Mal schauen, wie ich diese Fahrt jetzt überlebe.
Ich blicke aus dem Fenster und sehe, dass Hanusz seine Krawatte loslässt und winkt. Seine Mundwinkel (wohl eher Schnabelwinkel) haben sich zwar kein bisschen verzogen, aber ich glaube, ich weiß trotzdem, was mit ihm los ist.
Ich gefalle ihm. Hanusz Huhnski, dem Hahn.
Er winkt immer noch, und seine Krawatte flattert. Er wird immer kleiner. Diesen Anblick, der sich mit meiner Erkenntnis zusammenfügt, werde ich lange nicht vergessen.

 

 

 

 

4. Hanusz

Hazimiersz

Wenn Hühner fliegen könnten wie die anderen Vögel, würde ich die Flügel ausbreiten und auf geht's in die Freiheit. Ich will fliehen. Ich will weg. Weg von der Schule, weg von den Pflichten und Sorgen. Ja, weg von meinen Freunden. Und meinen Feinden. Weg von Wolfiana. Weg von ihrem Lächeln, das mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Es ist so künstlich. So wölfisch. Und irgendwie auch faszinierend.
Aber ich will es vergessen. Das muss ich auch. Und ich könnte es nur vergessen, wenn ich fliegen könnte. Wenn ich weit weg wäre.

Hazian und Luchsa dürfen nicht erfahren, was passiert ist. Ich kann es ihnen nicht sagen. Sie hassen Wolfiana, und ich in meinem tiefsten Inneren auch. Ich weiß über Wolfiana bescheid, über sie und ihre bösen Absichten, die sie zu überspielen versucht. Es war dumm von ihr, alle Gedanken, die in ihrem Kopf waren, in ihr Kapitel zu schreiben. Natürlich habe ich es gelesen. Jetzt weiß ich, dass sie Bisoumes gefallen will. Und mir. Ich weiß jetzt, wie bösartig sie und wie gestört ihre Familie ist.
Trotzdem kann ich ihr nicht mehr ausweichen. Sie hat begriffen, dass sie mich schnell wieder weichkochen kann. Ihr spitzes Wölfinnenlächeln ist ihre Waffe. Es ist so seltsam fremdartig und hat irgendwie eine lähmende Wirkung auf mich. Klaren Verstand behalte ich durch den Ernst der Lage und meine Freunde. Immer wenn ich an Hazian und Luchsa denke, wird mein Herz von kaltem Hass auf Wolfiana umlodert. Aber Miss Kremlin kann es mit ihrer Waffe durchbohren, und dann höre ich Blut in meinen Ohren rauschen. Dieses Blut ist (in meiner Fantasie) Wasser, und es löscht das Hass-Feuer.
Ich will vor Hazian und Luchsa wegfliegen, bevor sie das auf irgendeine Weise herauskriegen! Ich will fliehen! Ich will ihnen entrinnen, bis mein Kopf leer ist und ich wieder zurückkommen kann.

Am liebsten würde ich magische Flügel haben, mit denen ich in die blutige Vergangenheit fliegen könnte. Die interessiert mich nämlich. Aber durch die Schule werde ich daran gehindert, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Die Grundschule hätte doch schon genügt! Das sehen viele so. Und doch werden die Gesetze mit der Schulpflicht nicht geändert und ich muss noch miterleben, wie Wolfiana ihre wahre Identität versteckt und solche Spielchen spielt. Ich finde das nicht mehr lustig. 


***

Hazian ist sehr unsportlich. Körperlich ist er gar nicht begabt und es macht ihm null Spaß, Sport zu treiben. Seine Mutter hat ihn anscheinend nicht so akzeptiert, wie er war und ist. Als er 5 war, hat sie angefangen, ihm Druck zu machen. Er musste Kurse besuchen, wo andere sportliche Hasen mitgemacht haben. Weitsprung hat er am wenigsten von all diesen Kursen gemocht. Sein Weitsprung-Lehrer war ein strenger Feldhase mit langen, löffelartigen, spitzen Ohren und bereits leicht ergrautem Fell, das hat Hazian mir erzählt. Sein Vater, Hazimiersz Ohrt hatte damals eine hohe Position und wurde von seinem Job viel in Anspruch genommen. Er war mehrmals in der Woche weg, denn seine Arbeit war eigentlich in Polen und er musste dauernd Dienstreisen machen. Hazimiersz Ohrt mochte seinen Job - und seinen Sohn Hazian. Er würde gerne mehr mit ihm machen, aber immer, wenn er zu Hause war, war Hazian nicht da, denn er hatte entweder Weit oder -Hochsprung. Das Training war anstrengend und ermüdend für ihn. Wenn er abgeholt wurde, war der kleine Hazian schon todmüde und hatte zu Hause keine Lust mehr, etwas zu essen oder zu spielen - er ging dann schon sofort ins Bett. Er hatte keine Kurse an den Tagen, an denen Papa Hazimiersz weg war. Also bekam er seinen Vater praktisch nur sehr, sehr selten zu Gesicht. Aber Hazimiersz Ohrt machte bei der Arbeit einen großen Fehler. Er leitete eine Handvoll Einladungen für einen staatlichen Kongress falsch weiter, und dadurch entstand bei der Arbeit großes Chaos. Sein Chef war entrüstet. Er entwickelte von da an einen starken Hass auf Hazimiersz Ohrt und entließ ihn bei der nächsten Gelegenheit, fast grundlos. Hazimiersz kam arbeitslos nach Hause, aber weil der Job, den er gemacht hatte, sehr gut bezahlt gewesen war, reichte das Geld noch und er brauchte sich nicht sofort neu zu bewerben. Er verbrachte viel Zeit mit Hazian, aber es störte ihn, dass Hazian manchmal weg war und danach sofort ins Bett wollte. Hazians Mutter, Frau Ohrt, klärte Hazimiersz nicht ganz freiwillig über die Kurse auf. Dass Hazian nicht sportlich war und nicht gern zu den Kursen ging, ließ sie lieber weg... Aber Papa Hazimiersz fand es trotzdem heraus, denn er fragte Hazian und der erzählte ihm alles. Haziemiersz hatte immer nur das beste für seinen Sohn gewollt. Er war nicht einverstanden damit, dass Hazians Mutter den kleinen Hasen zu einer Sportskanone machen wollte, die er nicht war und  nicht sein wollte. Das machte er seiner Frau auch deutlich klar. Die akzeptierte das nicht. "Was soll denn aus Hazian werden, wenn er nicht weit und hoch springen kann?", fragte sie ihn.
Das weiß ich alles von Hazian. Er hat es mir persönlich erzählt, und ich bin auf seiner Seite. Auf seiner und Hazimiersz's. Aber ich bin noch nicht fertig.
Hazimiersz Ohrt und seine Frau hatten sehr unterschiedliche Ansichten über Hazian und seine Zukunft. Das führte zu einer Auseinandersetzung, die zu einem richtigen Streit wurde. Die Stimmung im Haus der Ohrts wurde von Tag zu Tag schlechter. Hazian ahnte, dass die Trennung seiner Eltern bevorstand. Und so kam es. Sie gingen einander aus dem Weg, versuchten, Hazian vor dem jeweiligen anderen Elternteil zu verstecken, und schließlich platzte Hazimiersz der Kragen. So konnte das nicht weitergehen. An diesem Abend hörte man im ganzen Treppenhaus lautes Gebrüll und Geschrei aus der Wohnung der Ohrts. Hazian wäre am liebsten geflüchtet und hätte sich von dem Lärm und der schlimmen Stimmung befreit. Ohne von den schimpfenden, streitenden Eltern bemerkt zu werden, rannte er in den Garten und legte sich ins Gras. Er wusste, ab diesem Tag würde alles sich ändern. Und vieles würde schwieriger werden. Er traute sich nicht, wieder in die Wohnung zu laufen, solange Herr und Frau Ohrt noch weiterschrien. Und so lag er bis 23 Uhr im Gras und dachte nach. Diese Nacht schlief er im Garten, denn er schlief ein, während er im Gras lag und seine Eltern sich nicht um ihn kümmerten. Am nächsten Tag war alles bereits geregelt: Die Eltern trennten sich, und wer das Sorgerecht für Hazian übernahm, stand auch schon fest: Hazimiersz, der Vater. Er ließ nicht zu, dass Hazians Mutter wieder mit Kursen anfing, deshalb hatte er ihr klar die Meinung gesagt. Aber die Mutter würde nicht mal mehr das Wochenende mit Hazian und Hazimiersz verbringen. Sie kapselte sich völlig ab. Seitdem hatte Hazian keinen Kontakt mehr zu ihr. Hazimiersz berücksichtigte die Wünsche von Hazian. Er schickte ihn zu keinen Kursen, kaufte ihm dafür aber Bücher, die er haben wollte. Inzwischen geht Hazians Vater wieder einer Arbeit nach. Und Hazian ist mit seinem neuen Leben zeimlich zufrieden.

Die Eltern von Luchsa (Luchsuš) heißen Luchsus und Luchsina Pinslego. Zwischen ihnen ist nichts vorgefallen, und sie leben noch zusammen.
Luchsa und ich können Hazian gut verstehen.
Meine Eltern sind Hanego und Hennena Huhnski, meine kleine Schwester heißt Henna. Sie ist noch ein kleines flaumiges gelbes Küken! Stell dir das vor. Und sie ist jetzt schon stolze Erstklässlerin. Henna hat sogar schon viele Freunde!

 

Freundschaftsprobleme 

Es ist wirklich ein Glück, dass ich Hazian und Luchsa kennengelernt hab. Die beiden sind echt gute Freunde - und vor allem: Sie verstehen mich. Sie interessieren sich auch für Geografie, Geschichte und Politik - genauso wie ich. Und sie kommen auch aus Polen, deshalb haben wir 3 eine Geheimsprache! Polnisch! Das ist super.
Gar nicht super ist, dass ich jetzt vorsichtig mit ihnen sein muss. Sie dürfen nichts über Wolfiana und mich erfahren, sonst ist die ganze Freundschaft in Luft aufgelöst. Deshalb vermeide ich die beiden jetzt lieber. Das ist wirklich ein Problem.
Ponita erfährt am besten auch nichts. Sicher ist sicher. Mit ihr mache ich sowieso nicht mehr so viel, was das deutlich einfacher macht.
Ich habe ihr Kapitel gelesen. Sie trauert der in Vergesseneheit geratenen Freundschaft hinterher. Ich habe ja auch nichts gegen sie, aber sie versteht einiges nicht! In der fünften Klasse sind die meisten Tierkinder 10, 11 oder vielleicht 12. Das ist so eine Zeit, wo Jungs und Mädchen sehr wenig miteinander zu tun haben wollen und die Jungs nur mit Jungs spielen, die Mädchen nur mit Mädchen. Ist wissenschaftlich bewiesen. Später, wenn sie älter sind, machen sie dann wieder mehr mit einander. Und in der Grundschule sowieso. Sie weiß das nicht. Außerdem versteht sie mich nicht so gut wie Hazian und Luchsa. Sie sind einfach zurzeit besser für mich geeignet! Ponita war die Grundschulzeit über meine Freundin, jetzt bin ich für Hazian und Luchsa da. Ponita hat übrigens auch andere Freunde als mich - und das sind Freundinnen - Feldmausina Feldov und Tigia Shi! Ich bin sicher, dass sie mit ihnen Spaß hat, genausoviel wie früher mit mir... Oder mehr. Zu den beiden passt sie besser als zu mir! Irgendwann merkt sie das bestimmt auch. Und vielleicht hat sie das schon. 🌝😊 
 

Das hat Ponita geschrieben:
Ich kann sie verstehen. Vielleicht wäre sie eine gute Freundin. Wenn ich ihr helfe, wieder auf die richtige Bahn zu kommen. 

Und das hat Tigia geschrieben:
 
Aber was ich nicht geahnt habe, ist, dass ich doch noch eine Freundin gefunden habe - Eine NF, New Friend; NICHT BFF, Best Fake Friend. Diesen Begriff habe ich von Ponita, mit der ich mich angefreundet habe. Ich sage das keinem, aber ich bin unglaublich froh darüber, endlich eine echte Freundin zu haben.
(...)
So schnell kann das manchmal gehen. Es war übrigens Ponita, die mich angesprochen hat. Eine ganz einfache Frage. "Tigia, magst du Mathe?" Und - schwupp - sind wir Freunde. 2 Außenseiter, die keine richtigen Freunde haben und sich gegenseitig schon immer ziemlich sympathisch fanden.

 

 

 

 

 

5. Ponita

Die neue Freundschaft
mit Hazian und Luchsa

Gerade ist Mittagessen. Die Mensa ist oben, deshalb müssen wir innerhalb der Schule immer sehr viele Treppenstufen hochlaufen. Hier oben gibt es lange helle Holztische und Holzbänke, die aus dem gleichen Holz gemacht sind. Manchmal fehlen an manchen Tischen Bänke. Dieses Problem kommt neulich ziemlich oft vor.
Das Küchenpersonal ist nicht sehr nett.
Nach dem Essen müssen bestimmte Tierkinder Tischdienst machen, das heißt Tische wischen und Bänke hochstellen.
Tigia und ich sitzen am Fenster. Gegenüber von mir sitzt Feldmausina. Am Nachbartisch sitzen Hanusz und ein paar Tierkinder aus einer anderen Klasse. Wolfiana, Bisoumes und Pumos... Oha, ich glaube, die 3 sind noch gar nicht oben! Sie lassen sich immer sehr viel Zeit. Wahrscheinlich hängen sie noch unten bei den Spinden ab und Wolfiana verkauft Pumos die Soße. Das macht sie nämlich immer unten, weil da keine Lehrer sind, die ihr das verbieten können. Ganz schön schlau und vor allem überhaupt nicht gut.
Vielleicht verpetze ich Wolfiana mal irgendwann an Hasinde. Ich weiß, das klingt jetzt so, als wäre ich eine totale Petze, aber Wolfianas Soßen-Geschäft nervt wirklich. Wobei, zu petzen hätte keinen Sinn. Hasinde Hüpfer (unsere Klassenlehrerin) weiß genau, wozu Wolfiana fähig ist, und seit sie obercool tut, hat Hasinde Angst vor ihr. Sie wird es sich nicht trauen, eine Standpauke zu halten. Und Bäriko Brumm würde sowieso nicht auf den Gedanken kommen, irgendetwas gegen Wolfianas Vorhaben zu unternehmen. Er ist nicht streng... Er ist genau das Gegenteil. Er ist gut als Grundschullehrer geeignet, aber nicht für höhere Klassenstufen. 

Hanusz.
Was ist mit ihm passiert?
Heute verhält er sich irgendwie komisch. Er ist nicht mehr der, der er mal war... Der er vorgestern noch war.
Seit gestern geht er nicht mehr mit Luchsa Pinslego und Hazian Ohrt zur Schule und nach Hause. Ich habe ihn gesehen. Ich beobachte ihn immer, deshalb ist mir das aufgefallen.
Er geht jetzt allein. Und ich wette, Luchsa und Hazian wissen auch nicht bescheid. Tigia hab ich schon gefragt. Sie weiß es nicht. Feldmausina auch nicht.

Tigia ist fertig mit essen. Ich auch, schon längst. Ich kann sehr schnell essen. Wir gehen runter. Wer fertig ist, darf schon runter.
Ich stecke meine leere Brotdose in den Rucksack und gehe nach draußen auf den Pausenhof. Dort stehen schon Hazian und Luchsa. Bei ihnen hört die Schule früher auf als bei uns.
Ich schultere den Rucksack und gehe auf die beiden zu. "Ähm... Hallo", sage ich.
Luchsa tickt Hazian an und raunt: "
Hazian, spójrz! To musi być ta Ponita. Wiesz... ta klacz." Ich kann verstehen, was er sagt, denn er redet auf polnisch. Auf deutsch heißt das, was er sagt: Hazian, schau! Das muss diese Ponita sein. Du weißt... Die Stute.
Hazian nickt. "Ich weiß", sagt er und steckt die Pfote in seine Hosentasche. "
Wiem. Oczywiście, że tak, Luchsa! Widać. Ale niech przyjdzie, czemu nie!" Der Hase lächelt verschmitzt und tauscht einen Blick mit Luchsa, dem Luchs. Leise und mit geheimnisvoller Stimme fügt er hinzu: "Może coś wie... Coś o Hanuszu! Och, Luchsa. Niech."
Ich muss lachen. Sie denken, dass ich etwas über Hanusz weiß! Und sie wissen nicht, dass ich sie verstehen kann. "
Rozumiem was, wy mali skryti ludzie! I nic nie wiem o Hanuszu, tylko wy dwoje wiecie. Czy wiecie, co się z nim dzieje?" Überraschung! Natürlich haben sie nicht damit gerechnet, dass ich auch Polnisch kann!
Luchsa zuckt zusammen. Er rammt Hazian leicht den Ellbogen rein und schaut ihn an. Hazian lacht. "Okay, reden wir deutsch", sagt er, mehr zu mir als zu Luchsa. "Wir wissen nicht, was Hanusz hat. Wir wollten eigentlich dich fragen..."
"...Aber ich weiß es ja auch nicht", beende ich den Satz.
Luchsa zuckt mit den Schultern. Die Situation ist ihm offenbar peinlich. "Da! Da ist wer, Ponita! Eine Person will mit dir reden", sagt er erleichtert und zeigt in eine Richtung. Ich drehe mich um.
Tigia!
Ich stelle mich neben sie und erkläre den Freunden, dass das meine Freundin ist und sie einfach nur was mit mir machen will.
Tigia schaut Hazian und Luchsa verwirrt an. "Äh... Störe ich euch? Also - Ihr besprecht ja grad was..."
Hazian und Luchsa schütteln die Köpfe. Luchsa ist sogar froh. "Neeeiiin, neeiin, neeeiiin, du störst gar nicht! Du kannst jetzt sehr gern noch was mit Ponita machen!", behauptet er. Hazian findet das offenbar lächerlich und schüttelt den Kopf über seinen Freund.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Den beiden Jungs ist die Situation peinlich, weil sie nicht wussten, dass ich Polnisch kann, und sie wollen mich so schnell wie möglich loswerden. Tigia versteht das Ganze nicht und weiß überhaupt nicht, wovon wir reden, wer das ist und ob sie in eine wichtige Besprechung reingeplatzt ist. Ich glaube, es wäre gut, wenn ich sie aufkläre und die Jungs dann allein lasse.
Hazian schaut Tigia und mich erwartungsvoll an. Luchsa krämpelt nervös seine Ärmel hoch. Tigia tritt von einem Fuß auf den anderen und erwartet, dass etwas passiert.
Ich räuspere mich. "Also, Tigia. Ähm..." Irgendwie hab ich das Gefühl, dass alle wollen, dass ich etwas tue. Solche Momente mag ich nicht. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt.
Luchsa hält es nicht mehr aus. Er drängt mich zur Seite und geht auf Tigia zu. "Das reicht jetzt. So, ich bin Luchsa Pinslego und er heißt Hazian Ohrt. Er ist mein Freund. Wir fragen uns, was mit Hanusz los ist, und jetzt geht ihr beiden Mädels bitte weg! Haben alle alles kapiert?!" Er schaut in die Runde. Hazian, Tigia und ich nicken. "Gut!", sagt er. "Und jetzt tschüs!" Der kräftige Luchs stampft mit dem Fuß auf und zerrt Hazian mit. Sie verlassen den Schulhof.
Tigia kichert. Sie findet sein grobes Verhalten lustig. "Seid ihr Freunde? Luchsa, Hazian und du?", fragt sie mich. Und ich weiß keine Antwort, denn ich weiß es selbst nicht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, die beiden aufzuhalten und zu fragen. "Halt! Hazian und Luchsa! Stopp!", rufe ich.
Luchsa stöhnt und seufzt. Trotzdem laufen die beiden zurück.
Tigia tritt vor mich. "Eine Frage: Seid ihr mit Ponita befreundet?"
Luchsa schüttelt entschieden den Kopf. "NEIN. Ich finde nicht, dass wir mit Ponita befreundet sind." Es wirkt ziemlich trottelig, wie er ungeduldig mit bei jedem Schritt stark zur jeweiligen Seite wippenden Schultern um uns herum auf und -abmarschiert.
"Warte." Hazian legt ihm die Pfote auf die Schulter. "Warum nicht, Luchsa? Dir ist doch bloß die Situation peinlich, aber das heißt nicht, dass wir nicht mit Ponita und Tigia befreundet sind! Wir... wir könnten doch gemeinsam ermitteln, oder? 3 beziehungsweise 4 sind mehr als 2, und 4 finden bestimmt was über Hanusz raus!"
Luchsa gibt sich geschlagen. "Jaa, okay, na gut, ist schon gut. Also, Tigia: Ja, wir sind mit Ponita befreundet. Ja. Unsere Antwort lautet Ja", sagt er.
Ich nicke. Tigia zieht ihre Jacke an.
"Warte." Hazian legt Luchsa erneut die Pfote auf die Schulter. "Ich finde, wir sind auch mit Tigia befreundet."
Luchsa springt auf und hält sich die Ohren zu. "Haaziiaan!! Lass das! Was soll das?! Warum jetzt plötzlich auch noch mit Tigia? Das ist... Es reicht doch schon, mit einem einzigen Mädchen befreundet zu sein! Haziaaan, das verstehe ich jetzt nicht..." Luchsa findet seinen Freund peinlich. Er macht Anstalten, wieder wegzulaufen, aber Hazian hält ihn an der Krawatte fest. "Luchsa! Du bist einfach dämlich!", schimpft er seinen Freund. "Tigia ist sicher sehr nützlich für uns bei der Suche!"
Tigia schaut von mir zu Hazian und von Hazian zu mir. Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß auch nicht, warum Hazian so dringend auch mit Tigia befreundet sein will. Wahrscheinlich denkt er, dass Tiger supergut hören und riechen können.
Luchsa schüttelt sich und befreit sich aus Hazians Griff. "Ja, klar! Natürlich! Ich denke auch, dass Tigia uns gut helfen kann, aber sie ist total fremd und wir müssen ja nicht gleich mit ihr befreundet sein, nur weil wir sie vielleicht brauchen! 
Nie wiem, co jest z tobą nie tak, Hazian! Hanusz jest taki dziwny, a teraz ty też... Och, jesteś szalonym króliczkiem."

Hasinde pfeift und alle aus meiner Klasse versammeln sich zum Abschlusskreis. Bäriko verabschiedet die Schüler. 

 

Skandal Wolfiana 

Zum Glück habe ich einen Chat mit Hanusz. Ich sitze zu Hause auf dem Sofa in meinem Zimmer und beuge mich über mein Handy, während ich eine Nachricht an Hanusz tippe:

Hallo Hanusz!
Ich habe heute Zeit, wir
können uns heute treffen!

Auf diese Weise finde ich bestimmt etwas heraus. Er ist verfügbar, deshalb müsste er mir eigentlich antworten können.
Hanusz schreibt mir:

Warum willst du
mich treffen? Ich habe
grad keine Lust.

Ich will dich was fragen!
Außerdem hast du  doch heute
eigentlich immer Zeit!

Muss ich, Ponita?

Am besten schon! 😒

Echt?? Ich glaube, ich
will nicht auf deine Frage 
antworten. Und ich habe, wie
gesagt, keine Lust...

Denkst du, ich hab Lust,
keine Antwort auf die Frage 
zu kriegen? Ich muss dir die Frage
unbedingt stellen.

Na gut.......😞😫
Dann jetzt und ohne
Geheimniskrämerei und 
heißen Brei!!!

Nein! Ich muss dich persönlich
treffen!

Oh Mann, OK!
Wann?

Heute, jetzt. Bei mir.

Ich bin in 15 Minuten
da. Nehme das Fahrrad.

Gut.
Jetzt schreibt er nichts mehr. Wahrscheinlich ist er schon unterwegs. Ich sage meinen Eltern bescheid. Zum Glück sind sie o.k. mit meiner Entscheidung, Hanusz spontan zu treffen.
In 14 Minuten ist er da.
13.
12.
11.
10.
9.
8.
7.
6.
5.
4.
3.
2 Minuten.
Noch 1 Minute.
Noch 60 Sekunden. Noch 50 Sekunden. 40 Sekunden. 30. 20. 19. 18. 17. 16. 15. 14. 13. 12. 11. 10. 9... 8... 7... 6... 5... 
4, 3, 2, 1! 0! Jetzt müsste er eigentlich da sein. Ich warte noch ein bisschen ab. Schaue aus dem Fenster. Nix. Nix. Nix. Nix... HANUSZ!!!
Ich öffne das Fenster. Winke. Rufe laut seinen Namen.
Hanusz springt vom Fahrrad. Er trägt noch seine Schuluniform. Er schaut zu mir herauf und entdeckt mich. Er schiebt das Fahrrad zu einem Fahrradständer. Das dunkle Sakko, die dunkle Hose, die dunkle Krawatte und das helle Poloshirt geben seiner Ausstrahlung einen ernsten, erwachsenen Anstrich.
Ich renne die Treppe hinunter, mache die Haustür auf und laufe in den Garten, wo Hanusz steht und wartet. Draußen weht ein kalter Wind. Ich stülpe mir den Pullover über und setze mich auf einen Stein.
Hanusz sieht mich voller Erwartung an. "Was willst du von mir wissen?", fragt er. "Ich habe nicht viel Zeit." Der Hahn vergräbt die Flügel in den Jackentaschen.
Was er sagt, stimmt nicht. "Du hast viel Zeit. Du willst nur, dass ich mich kurz fasse. Keine Sorge. Das mach ich eh." Ich streiche mir mit dem Huf eine blonde Strähne aus dem Pferdegesicht, blinzele und versuche, ihm in die Augen zu schauen.
Hanusz schüttelt den Kopf. Sein Hahnenkamm bewegt sich dabei. "Gib auf." Er will wieder zum Fahrrad laufen. Aber ich gebe nicht auf. Ich stehe auf und renne ihm hinterher. "Hanusz! Bleib! Was ist los mit dir?", rufe ich laut. Mama und Papa stecken ihre Köpfe aus dem Fenster. Die ganze Nachbarschaft tut es ihnen gleich...
Hanusz seufzt. "Gib auf, Ponita. Gib es auf." Seine Stimme ist leise und rau, aber meine Eltern und die Nachbarn verstehen trotzdem jedes eizelne Wort. Das Interesse der Erwachsenen ist geweckt!
Ich durchbohre den Hahn mit meinem Blick. "Was ist los mit dir?", wiederhole ich.
Hanusz legt den Kopf schief. "Ponita..." Er seufzt wieder.
Alle sehen, wie meine weißblonde Mähne im Wind weht. Vermutlich denken sie jetzt, dass sie in einen Hollywood-Film geplatzt sind.
Hanusz hält seine Krawatte fest. Ich habe das Gefühl, dass er das schon mal getan hat. Aber ich habe nicht die Kapitel der anderen gelesen und er scheint über diese Tatsache erleichtert zu sein. Sein Schnabel zittert leicht. Er will etwas sagen. Aber er unterdrückt seinen Drang danach und schließt den Schnabel wieder. Er scheint einen inneren Kampf zu führen.
"Hanusz, sag etwas! Was ist los mit dir?! Hazian und Luchsa wissen es auch nicht, und sie wollen es noch dringender wissen als ich! Also - Sag es!", fordere ich. Meine Stimme zittert leicht, aber ich gebe mir Mühe, ihr einen besonders scharfen und schneidenden Unterton zu verleihen.
Hanusz Huhnski dreht sich weg. Nach einer Weile murmelt er: "Hazian und Luchsa dürfen es nicht erfahren. Und du hast auch keinen Grund dazu, es zu wissen. Du... du kannst es wissen, aber wozu? Du wirst nur sauer sein, Ponita. Glaub mir. Du wirst nur sauer sein."
Ich spüre, wie die Wut und Empörung in mir hochsteigt. Will er andeuten, dass er in mich verliebt ist? Das wäre schlimm. Ein Hahn in eine Stute - das geht nicht! "Hanusz! Das darf nicht sein!", schreie ich unkontrolliert.
Ein verschmitztes Lächeln huscht über seine Schnabelspitzen. "Das, was ich wirklich sagen will, darf noch weniger sein."
Weiß er überhaupt, wovon ich rede? Er kann doch keine Gedanken lesen. "Bist du in mich verliebt?", frage ich ernst und mein länglicher Pferdekopf wird unter dem Fell hochrot.
Der junge Hahn schaut mich verständnislos an, sein Blick ist glasig. Dann schüttelt er den Kopf. "Nein." Plötzlich wird er laut: "Nie! Was geht eigentlich vor in deinem Kopf?!" Er fuchtelt mit dem Flügel, mit dem er seine Krawatte festhält, und als er begreift, was er tut, fällt sein Blick auf die Krawatte. Auf einmal ist seine Wut wie weggeblasen und er ist ernst, nur noch ernst. "Wenn es bloß nur das wäre..."
Ich verstehe ihn nicht. Was ist los mit ihm? Ist er in irgendwen anderes verliebt?! ?!?!?!?!
Diese Vermutung bestätigt sich. "Nein, nicht in dich", sagt Hanusz, "sondern... ... ... ..."
"Sondern?! In wen?!" Mir platzt der Kragen. Und urplötzlich ist meine Wut nicht mehr da, nur noch Enttäuschung. Denn ich habe eine Erkenntnis.
"Sondern in Wolfiana?", rufe ich, und die Nachbarn und Eltern schreien verzweifelt mit.
"Tak." Hanusz wirft mir einen bedauernden Blick zu und schwingt sich auf sein Fahrrad.
Tak.
Ja.
Tak bedeutet Ja.

  

Die Folgen vom
Skandal Wolfiana

Wieder ein Schultag geschafft! gestern habe ich Hazian, Luchsa und Tigia geschrieben, dass ich ihnen heute alles genau erklären werde.
Wir treffen uns vor dem Schulgebäude. Tigia ist noch nicht draußen. Ich warte auf sie.
Feldmausina läuft auf den Schulhof. Wolfiana verfolgt sie. Wetten, Wolfiana fängt jetzt einen Streit an? Ich laufe schnell zu Feldmausina. "Lauf schnell!", flüstere ich ihr ins Ohr. Sie wirft einen Blick nach hinten und tut, was ich sage. Endlich hat sie Wolfiana abgehängt! Ich freue mich für sie.
Wolfiana ärgert sich, das merkt man. 
Wie ich sehe, ist Tigia schon bei Hazian und Luchsa. Die 3 lachen über irgendetwas. "Was ist?", frage ich und laufe zu ihnen.
"Luchsa hat einen Farbfleck auf dem Boden gesehen und sich nach unten gebeugt, um seine Ohren damit zu färben, aber das hat nur halb geklappt und sieht jetzt sehr komisch aus", erklärt Tigia.
"Luchsa ist zu groß und breit, deshalb kann er sich schlecht dehnen", spottet Hazian. Ich schaue mir die Ohren von Luchsa an. Farbe vom Boden auf die Ohren zu schmieren, ist irgendwie unhygienisch. "Also", sage ich, "jetzt kommt die Info des Tages: Hanusz..."
"Ja?", fragen Tigia, Luchsa und Hazian im Chor und stecken neugierig die Köpfe zusammen.
"Hanusz ist in Wolfiana verliebt!", verkünde ich.
"WAS?" Meine 3 Gegenüber sind alle entgeistert.
"Was... was hast du gesagt? Nochmal, bitte." Luchsa glaubt ernsthaft, sich verhört zu haben.
"HANUSZ IST IN WOLFIANA VERLIEBT", erkläre ich laut, damit alle es richtig verstehen.
"Skandal!" Luchsa kann es immer noch nicht fassen. "Skandal. Das ist ein Skandal."
Hazian fasst sich mit der Pfote an den Kopf, schüttelt diesen und schließt die Augen. "Hanusz, Hanusz... ach Hanusz. Mein Gott... Ernsthaft?" Er öffnet die Augen, um Tigia und mich anzusehen, und schließt sie wieder. "
Hanusz, Hanusz...", wiederholt er. Luchsa rammt ihm den Ellbogen in die Schulter, um ihn auf den vorbeilaufenden Hanusz aufmerksam zu machen. Vorbeilaufenden? Eher läuft er auf uns zu, und zwar, genauer gesagt, nicht auf uns sondern auf mich!
"Ponita", sagt er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme, "Ppponita..." Die Betonung liegt auf dem O von meinem Namen. Im Polnischen wird mein Name etwas anders ausgesprochen als im Deutschen.
Hanusz verengt die Augen und greift mir an die Schulter. In leisem, zischenden Tonfall raunt er mir zu: "Du weißt es! Und du hast es gesagt..."
Ich weiß nicht, was er jetzt tun wird. Und erst recht nicht weiß ich, was ich jetzt tue.
Hanusz lässt mich los, sein Blick ist gesenkt. "Ponita Nowak. Du..." Er seufzt und schaut mich aus seinen Hühneraugen verzweifelt an. Sein Gesicht wirkt blass und farblos, nur das Rot seines Hahnenkamms und seines Kehllappens sticht hervor. Und jetzt durchbohrt er mich mit seinem verzweifelten Blick. Ich kann das Feuer, das in seinen runden Augen lodert, förmlich sehen. "Stute!"
Er dreht sich um, rennt zu seinem Fahrrad und steigt auf den Fahrradsattel.
Luchsa krempelt seine Ärmel hoch und läuft ihm hinterher. "Hanusz! Hanusz, bleib!" Er klingt nicht wütend.
Hanusz hört nicht auf Luchsa. Er tritt hartnäckig in die Pedale. Aber auch Luchsa gibt sich nicht leicht geschlagen. "Hanusz Huhnski! Stopp!", ruft er und sprintet seinem Freund hinterher. Hanusz will abbiegen.
Luchsa macht etwas sehr gefährliches. Er springt auf Hanuszs Hinterreifen drauf, hält ihn fest und zieht an ihm. Widerwillig stoppt Hanusz, um Luchsa nicht zu überfahren. Er steigt ärgerlich ab und hilft Luchsa, der inzwischen, das Rad immer noch festhaltend, auf dem Boden liegt, auf. Auf Luchsas weißem Hemd kann man eine schmutige braune Spur vom Fahrradreifen sehen.
Tigia schaut mich an.
"Was willst du denn noch von mir?", fragt Hanusz und die Not und Hilflosigkeit ist ihm deutlich anzumerken. "Luchsa, du weißt, dass du keine Schuld hast! Ponita hat's ausgeplappert, auf Ponita bin ich sauer. Was ist jetzt noch los?!" Er lässt die Flügel mit einem klatschenden Geräusch an die Oberschenkel fallen. "Wenn du mir eine Standpauke wegen Wolfiana halten willst, dann empehle ich dir jetzt schon, sie dir zu ersparen. Ist nicht nötig, Luchsa!" Der junge Hahn will wieder aufs Fahrrad steigen.
Luchsa versucht, ihn festzuhalten. "Aber..."
Er kann nicht ausreden. Hazian unterbricht ihn. "Hanusz! Ich will dir eine Standpauke halten! Das ist wirklich verantwortungslos von dir gegenüber mir und auch gegenüber Luchsa, dich einfach so in diese Wolfiana zu verlieben! Das... Ausgerechnet in sie! Bei jeder anderen kann ich ein Auge zudrücken, aber Wolfiana? Nein, da mach ich nicht mit! Was ist denn das für ein Freund, der sich in die Feindin verliebt, also wirklich, Hanusz Huhnski!"
Am liebsten würde er noch weiterschreien, doch Luchsa hält ihm den Mund zu und rennt gleichzeitig Hanusz nach. "Halt den Mund, Hazian", fährt er den Hasen an. "Das zu sagen, ist nicht dein Recht, du Miesepeter! Hanusz kann nichts dafür und du sollst dich mal nicht so lächerlich anstellen. Hanusz ist mein Freund, kapiert?! Und deiner ist er auch, wenn du ihn nicht wegen Kleinigkeiten anmotzt." Er wendet sich Hanusz zu: "Hanusz, du brauchst nicht vor uns wegzufahren, bei... Bei deinem Vater Hanego! Das ist alles nicht nötig."
Ein Schatten huscht über das Gesicht des jungen Hahns. Er schaut zu Luchsa, dann zu Hazian, dann zu mir. Er senkt den Kopf, schüttelt ihn und kneift schließlich die Augen zusammen. Schmerz. Kampf. Beides sieht man ihm an. Schließlich geht er auf Luchsa zu und klopft ihm auf die Schulter. "Luchsa, du hast alles richtig gemacht. Hazian und Ponita, ihr auch. Es war mein Fehler und meine Schuld. Aber ich konnte nicht anders, das... das müsst ihr mir glauben! Ich konnte es nicht verhindern, dass ich mich... in..." Hanusz stockt. Seine Augen glühen vor Ratlosigkeit und Verzweiflung.
Ich halte ihm den Huf hin, und er legt seinen Flügel darauf. "Hanusz, du brauchst dich jetzt nicht zu entschuldigen", sage ich und bemühe mich um ein halbwegs realistisches Lächeln. Luchsa nickt mir zu, dann ziehe ich meinen Huf weg und Luchsa gibt Hanusz dafür seine Pfote.
In diesem Augenblick gibt Hazian ein verärgertes Knurren von sich. Als Hanusz, Luchsa, Tigia und ich zu ihm schauen, brummt, faucht, zischt und grunzt er.
Luchsa stöhnt genervt. "Was'n los? Was is'n jetzt wieder los?" Er starrt Hazian fassungslos und irritiert an. Tigia ist auch nicht gerade begeistert von Hazians plötzlichem Wutanfall.
Hanusz nutzt den Moment, in dem er nicht bemerkt wird, und fährt auf seinem Fahrrad davon.
Hazian stampft mit dem Fuß auf und reißt sich die Krawatte vom Hals. "Ich kann es nicht fassen", knurrt er. "Hanusz in Wolfiana. Ich kann es nicht fassen. Das geht einfach nicht. Hanusz hat uns verraten."
Luchsa verdreht die Augen und steckt die Hände in die Hosentaschen. "Hazian, Hazian. Du bist viel zu nachtragend. Ich muss nach Hause. Wie lange willst du uns noch aufhalten?"
Plötzlich springt Hazian auf. Er wirkt auf einmal aggressiv. "So lange, wie du Hanusz noch verteidigst! Das reicht jetzt!", faucht er. "Du begreifst nicht, was es bedeutet, dass er uns verraten hat! Die Lage ist ernst, Luchsa! Aber du begreifst es nicht!"
Luchsa platzt der Kragen. Er wird handgreiflich Hazian gegenüber. "Hanusz hat uns nicht verraten, kapiert?! Was hast du eigentlich für absurde Gedanken?! Bist du überhaupt noch sein Freund?" Luchsas Stimme wird immer lauter.
Hazian zerrt Luchsa an der Krawatte. Nach einer Weile huscht ein finsteres Lächeln über seinen Mund. Seine Augen funkeln. "Nein", sagt er gedehnt. "Ich - Nein, ich bin nicht mehr sein Freund, Luchsa. Und deiner auch nicht mehr..." Der Hase  lacht leise auf.
Das kann ich nicht akzeptieren. Wut und Enttäuschung steigen in mir hoch und bleiben im Hals stecken. "Was?", rufe ich. Ich kann mich nicht kontrollieren.
Auch Tigia und Luchsa sind wütend. Sie schreien im Chor: "Was?" und ich stimme mit ein...



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