5. Ponita
Die neue Freundschaft
mit Hazian und Luchsa
Gerade ist Mittagessen. Die Mensa ist oben, deshalb müssen wir innerhalb der Schule immer sehr viele Treppenstufen hochlaufen. Hier oben gibt es lange helle Holztische und Holzbänke, die aus dem gleichen Holz gemacht sind. Manchmal fehlen an manchen Tischen Bänke. Dieses Problem kommt neulich ziemlich oft vor.
Das Küchenpersonal ist nicht sehr nett.
Nach dem Essen müssen bestimmte Tierkinder Tischdienst machen, das heißt Tische wischen und Bänke hochstellen.
Tigia und ich sitzen am Fenster. Gegenüber von mir sitzt Feldmausina. Am Nachbartisch sitzen Hanusz und ein paar Tierkinder aus einer anderen Klasse. Wolfiana, Bisoumes und Pumos... Oha, ich glaube, die 3 sind noch gar nicht oben! Sie lassen sich immer sehr viel Zeit. Wahrscheinlich hängen sie noch unten bei den Spinden ab und Wolfiana verkauft Pumos die Soße. Das macht sie nämlich immer unten, weil da keine Lehrer sind, die ihr das verbieten können. Ganz schön schlau und vor allem überhaupt nicht gut.
Vielleicht verpetze ich Wolfiana mal irgendwann an Hasinde. Ich weiß, das klingt jetzt so, als wäre ich eine totale Petze, aber Wolfianas Soßen-Geschäft nervt wirklich. Wobei, zu petzen hätte keinen Sinn. Hasinde Hüpfer (unsere Klassenlehrerin) weiß genau, wozu Wolfiana fähig ist, und seit sie obercool tut, hat Hasinde Angst vor ihr. Sie wird es sich nicht trauen, eine Standpauke zu halten. Und Bäriko Brumm würde sowieso nicht auf den Gedanken kommen, irgendetwas gegen Wolfianas Vorhaben zu unternehmen. Er ist nicht streng... Er ist genau das Gegenteil. Er ist gut als Grundschullehrer geeignet, aber nicht für höhere Klassenstufen.
Hanusz.
Was ist mit ihm passiert?
Heute verhält er sich irgendwie komisch. Er ist nicht mehr der, der er mal war... Der er vorgestern noch war.
Seit gestern geht er nicht mehr mit Luchsa Pinslego und Hazian Ohrt zur Schule und nach Hause. Ich habe ihn gesehen. Ich beobachte ihn immer, deshalb ist mir das aufgefallen.
Er geht jetzt allein. Und ich wette, Luchsa und Hazian wissen auch nicht bescheid. Tigia hab ich schon gefragt. Sie weiß es nicht. Feldmausina auch nicht.
Tigia ist fertig mit essen. Ich auch, schon längst. Ich kann sehr schnell essen. Wir gehen runter. Wer fertig ist, darf schon runter.
Ich stecke meine leere Brotdose in den Rucksack und gehe nach draußen auf den Pausenhof. Dort stehen schon Hazian und Luchsa. Bei ihnen hört die Schule früher auf als bei uns.
Ich schultere den Rucksack und gehe auf die beiden zu. "Ähm... Hallo", sage ich.
Luchsa tickt Hazian an und raunt: "Hazian, spójrz! To musi być ta Ponita. Wiesz... ta klacz." Ich kann verstehen, was er sagt, denn er redet auf polnisch. Auf deutsch heißt das, was er sagt: Hazian, schau! Das muss diese Ponita sein. Du weißt... Die Stute.
Hazian nickt. "Ich weiß", sagt er und steckt die Pfote in seine Hosentasche. "Wiem. Oczywiście, że tak, Luchsa! Widać. Ale niech przyjdzie, czemu nie!" Der Hase lächelt verschmitzt und tauscht einen Blick mit Luchsa, dem Luchs. Leise und mit geheimnisvoller Stimme fügt er hinzu: "Może coś wie... Coś o Hanuszu! Och, Luchsa. Niech."
Ich muss lachen. Sie denken, dass ich etwas über Hanusz weiß! Und sie wissen nicht, dass ich sie verstehen kann. "Rozumiem was, wy mali skryti ludzie! I nic nie wiem o Hanuszu, tylko wy dwoje wiecie. Czy wiecie, co się z nim dzieje?" Überraschung! Natürlich haben sie nicht damit gerechnet, dass ich auch Polnisch kann!
Luchsa zuckt zusammen. Er rammt Hazian leicht den Ellbogen rein und schaut ihn an. Hazian lacht. "Okay, reden wir deutsch", sagt er, mehr zu mir als zu Luchsa. "Wir wissen nicht, was Hanusz hat. Wir wollten eigentlich dich fragen..."
"...Aber ich weiß es ja auch nicht", beende ich den Satz.
Luchsa zuckt mit den Schultern. Die Situation ist ihm offenbar peinlich. "Da! Da ist wer, Ponita! Eine Person will mit dir reden", sagt er erleichtert und zeigt in eine Richtung. Ich drehe mich um.
Tigia!
Ich stelle mich neben sie und erkläre den Freunden, dass das meine Freundin ist und sie einfach nur was mit mir machen will.
Tigia schaut Hazian und Luchsa verwirrt an. "Äh... Störe ich euch? Also - Ihr besprecht ja grad was..."
Hazian und Luchsa schütteln die Köpfe. Luchsa ist sogar froh. "Neeeiiin, neeiin, neeeiiin, du störst gar nicht! Du kannst jetzt sehr gern noch was mit Ponita machen!", behauptet er. Hazian findet das offenbar lächerlich und schüttelt den Kopf über seinen Freund.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Den beiden Jungs ist die Situation peinlich, weil sie nicht wussten, dass ich Polnisch kann, und sie wollen mich so schnell wie möglich loswerden. Tigia versteht das Ganze nicht und weiß überhaupt nicht, wovon wir reden, wer das ist und ob sie in eine wichtige Besprechung reingeplatzt ist. Ich glaube, es wäre gut, wenn ich sie aufkläre und die Jungs dann allein lasse.
Hazian schaut Tigia und mich erwartungsvoll an. Luchsa krämpelt nervös seine Ärmel hoch. Tigia tritt von einem Fuß auf den anderen und erwartet, dass etwas passiert.
Ich räuspere mich. "Also, Tigia. Ähm..." Irgendwie hab ich das Gefühl, dass alle wollen, dass ich etwas tue. Solche Momente mag ich nicht. Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt.
Luchsa hält es nicht mehr aus. Er drängt mich zur Seite und geht auf Tigia zu. "Das reicht jetzt. So, ich bin Luchsa Pinslego und er heißt Hazian Ohrt. Er ist mein Freund. Wir fragen uns, was mit Hanusz los ist, und jetzt geht ihr beiden Mädels bitte weg! Haben alle alles kapiert?!" Er schaut in die Runde. Hazian, Tigia und ich nicken. "Gut!", sagt er. "Und jetzt tschüs!" Der kräftige Luchs stampft mit dem Fuß auf und zerrt Hazian mit. Sie verlassen den Schulhof.
Tigia kichert. Sie findet sein grobes Verhalten lustig. "Seid ihr Freunde? Luchsa, Hazian und du?", fragt sie mich. Und ich weiß keine Antwort, denn ich weiß es selbst nicht. Also bleibt mir nichts anderes übrig, die beiden aufzuhalten und zu fragen. "Halt! Hazian und Luchsa! Stopp!", rufe ich.
Luchsa stöhnt und seufzt. Trotzdem laufen die beiden zurück.
Tigia tritt vor mich. "Eine Frage: Seid ihr mit Ponita befreundet?"
Luchsa schüttelt entschieden den Kopf. "NEIN. Ich finde nicht, dass wir mit Ponita befreundet sind." Es wirkt ziemlich trottelig, wie er ungeduldig mit bei jedem Schritt stark zur jeweiligen Seite wippenden Schultern um uns herum auf und -abmarschiert.
"Warte." Hazian legt ihm die Pfote auf die Schulter. "Warum nicht, Luchsa? Dir ist doch bloß die Situation peinlich, aber das heißt nicht, dass wir nicht mit Ponita und Tigia befreundet sind! Wir... wir könnten doch gemeinsam ermitteln, oder? 3 beziehungsweise 4 sind mehr als 2, und 4 finden bestimmt was über Hanusz raus!"
Luchsa gibt sich geschlagen. "Jaa, okay, na gut, ist schon gut. Also, Tigia: Ja, wir sind mit Ponita befreundet. Ja. Unsere Antwort lautet Ja", sagt er.
Ich nicke. Tigia zieht ihre Jacke an.
"Warte." Hazian legt Luchsa erneut die Pfote auf die Schulter. "Ich finde, wir sind auch mit Tigia befreundet."
Luchsa springt auf und hält sich die Ohren zu. "Haaziiaan!! Lass das! Was soll das?! Warum jetzt plötzlich auch noch mit Tigia? Das ist... Es reicht doch schon, mit einem einzigen Mädchen befreundet zu sein! Haziaaan, das verstehe ich jetzt nicht..." Luchsa findet seinen Freund peinlich. Er macht Anstalten, wieder wegzulaufen, aber Hazian hält ihn an der Krawatte fest. "Luchsa! Du bist einfach dämlich!", schimpft er seinen Freund. "Tigia ist sicher sehr nützlich für uns bei der Suche!"
Tigia schaut von mir zu Hazian und von Hazian zu mir. Ich zucke mit den Schultern. Ich weiß auch nicht, warum Hazian so dringend auch mit Tigia befreundet sein will. Wahrscheinlich denkt er, dass Tiger supergut hören und riechen können.
Luchsa schüttelt sich und befreit sich aus Hazians Griff. "Ja, klar! Natürlich! Ich denke auch, dass Tigia uns gut helfen kann, aber sie ist total fremd und wir müssen ja nicht gleich mit ihr befreundet sein, nur weil wir sie vielleicht brauchen! Nie wiem, co jest z tobą nie tak, Hazian! Hanusz jest taki dziwny, a teraz ty też... Och, jesteś szalonym króliczkiem."
Hasinde pfeift und alle aus meiner Klasse versammeln sich zum Abschlusskreis. Bäriko verabschiedet die Schüler.
Skandal Wolfiana
Zum Glück habe ich einen Chat mit Hanusz. Ich sitze zu Hause auf dem Sofa in meinem Zimmer und beuge mich über mein Handy, während ich eine Nachricht an Hanusz tippe:
Hallo Hanusz!
Ich habe heute Zeit, wir
können uns heute treffen!
Auf diese Weise finde ich bestimmt etwas heraus. Er ist verfügbar, deshalb müsste er mir eigentlich antworten können.
Hanusz schreibt mir:
Warum willst du
mich treffen? Ich habe
grad keine Lust.
Ich will dich was fragen!
Außerdem hast du doch heute
eigentlich immer Zeit!
Muss ich, Ponita?
Am besten schon! 😒
Echt?? Ich glaube, ich
will nicht auf deine Frage
antworten. Und ich habe, wie
gesagt, keine Lust...
Denkst du, ich hab Lust,
keine Antwort auf die Frage
zu kriegen? Ich muss dir die Frage
unbedingt stellen.
Na gut.......😞😫
Dann jetzt und ohne
Geheimniskrämerei und
heißen Brei!!!
Nein! Ich muss dich persönlich
treffen!
Oh Mann, OK!
Wann?
Heute, jetzt. Bei mir.
Ich bin in 15 Minuten
da. Nehme das Fahrrad.
Gut.
Jetzt schreibt er nichts mehr. Wahrscheinlich ist er schon unterwegs. Ich sage meinen Eltern bescheid. Zum Glück sind sie o.k. mit meiner Entscheidung, Hanusz spontan zu treffen.
In 14 Minuten ist er da.
13.
12.
11.
10.
9.
8.
7.
6.
5.
4.
3.
2 Minuten.
Noch 1 Minute.
Noch 60 Sekunden. Noch 50 Sekunden. 40 Sekunden. 30. 20. 19. 18. 17. 16. 15. 14. 13. 12. 11. 10. 9... 8... 7... 6... 5...
4, 3, 2, 1! 0! Jetzt müsste er eigentlich da sein. Ich warte noch ein bisschen ab. Schaue aus dem Fenster. Nix. Nix. Nix. Nix... HANUSZ!!!
Ich öffne das Fenster. Winke. Rufe laut seinen Namen.
Hanusz springt vom Fahrrad. Er trägt noch seine Schuluniform. Er schaut zu mir herauf und entdeckt mich. Er schiebt das Fahrrad zu einem Fahrradständer. Das dunkle Sakko, die dunkle Hose, die dunkle Krawatte und das helle Poloshirt geben seiner Ausstrahlung einen ernsten, erwachsenen Anstrich.
Ich renne die Treppe hinunter, mache die Haustür auf und laufe in den Garten, wo Hanusz steht und wartet. Draußen weht ein kalter Wind. Ich stülpe mir den Pullover über und setze mich auf einen Stein.
Hanusz sieht mich voller Erwartung an. "Was willst du von mir wissen?", fragt er. "Ich habe nicht viel Zeit." Der Hahn vergräbt die Flügel in den Jackentaschen.
Was er sagt, stimmt nicht. "Du hast viel Zeit. Du willst nur, dass ich mich kurz fasse. Keine Sorge. Das mach ich eh." Ich streiche mir mit dem Huf eine blonde Strähne aus dem Pferdegesicht, blinzele und versuche, ihm in die Augen zu schauen.
Hanusz schüttelt den Kopf. Sein Hahnenkamm bewegt sich dabei. "Gib auf." Er will wieder zum Fahrrad laufen. Aber ich gebe nicht auf. Ich stehe auf und renne ihm hinterher. "Hanusz! Bleib! Was ist los mit dir?", rufe ich laut. Mama und Papa stecken ihre Köpfe aus dem Fenster. Die ganze Nachbarschaft tut es ihnen gleich...
Hanusz seufzt. "Gib auf, Ponita. Gib es auf." Seine Stimme ist leise und rau, aber meine Eltern und die Nachbarn verstehen trotzdem jedes eizelne Wort. Das Interesse der Erwachsenen ist geweckt!
Ich durchbohre den Hahn mit meinem Blick. "Was ist los mit dir?", wiederhole ich.
Hanusz legt den Kopf schief. "Ponita..." Er seufzt wieder.
Alle sehen, wie meine weißblonde Mähne im Wind weht. Vermutlich denken sie jetzt, dass sie in einen Hollywood-Film geplatzt sind.
Hanusz hält seine Krawatte fest. Ich habe das Gefühl, dass er das schon mal getan hat. Aber ich habe nicht die Kapitel der anderen gelesen und er scheint über diese Tatsache erleichtert zu sein. Sein Schnabel zittert leicht. Er will etwas sagen. Aber er unterdrückt seinen Drang danach und schließt den Schnabel wieder. Er scheint einen inneren Kampf zu führen.
"Hanusz, sag etwas! Was ist los mit dir?! Hazian und Luchsa wissen es auch nicht, und sie wollen es noch dringender wissen als ich! Also - Sag es!", fordere ich. Meine Stimme zittert leicht, aber ich gebe mir Mühe, ihr einen besonders scharfen und schneidenden Unterton zu verleihen.
Hanusz Huhnski dreht sich weg. Nach einer Weile murmelt er: "Hazian und Luchsa dürfen es nicht erfahren. Und du hast auch keinen Grund dazu, es zu wissen. Du... du kannst es wissen, aber wozu? Du wirst nur sauer sein, Ponita. Glaub mir. Du wirst nur sauer sein."
Ich spüre, wie die Wut und Empörung in mir hochsteigt. Will er andeuten, dass er in mich verliebt ist? Das wäre schlimm. Ein Hahn in eine Stute - das geht nicht! "Hanusz! Das darf nicht sein!", schreie ich unkontrolliert.
Ein verschmitztes Lächeln huscht über seine Schnabelspitzen. "Das, was ich wirklich sagen will, darf noch weniger sein."
Weiß er überhaupt, wovon ich rede? Er kann doch keine Gedanken lesen. "Bist du in mich verliebt?", frage ich ernst und mein länglicher Pferdekopf wird unter dem Fell hochrot.
Der junge Hahn schaut mich verständnislos an, sein Blick ist glasig. Dann schüttelt er den Kopf. "Nein." Plötzlich wird er laut: "Nie! Was geht eigentlich vor in deinem Kopf?!" Er fuchtelt mit dem Flügel, mit dem er seine Krawatte festhält, und als er begreift, was er tut, fällt sein Blick auf die Krawatte. Auf einmal ist seine Wut wie weggeblasen und er ist ernst, nur noch ernst. "Wenn es bloß nur das wäre..."
Ich verstehe ihn nicht. Was ist los mit ihm? Ist er in irgendwen anderes verliebt?! ?!?!?!?!
Diese Vermutung bestätigt sich. "Nein, nicht in dich", sagt Hanusz, "sondern... ... ... ..."
"Sondern?! In wen?!" Mir platzt der Kragen. Und urplötzlich ist meine Wut nicht mehr da, nur noch Enttäuschung. Denn ich habe eine Erkenntnis.
"Sondern in Wolfiana?", rufe ich, und die Nachbarn und Eltern schreien verzweifelt mit.
"Tak." Hanusz wirft mir einen bedauernden Blick zu und schwingt sich auf sein Fahrrad.
Tak.
Ja.
Tak bedeutet Ja.
Die Folgen vom
Skandal Wolfiana
Wieder ein Schultag geschafft! gestern habe ich Hazian, Luchsa und Tigia geschrieben, dass ich ihnen heute alles genau erklären werde.
Wir treffen uns vor dem Schulgebäude. Tigia ist noch nicht draußen. Ich warte auf sie.
Feldmausina läuft auf den Schulhof. Wolfiana verfolgt sie. Wetten, Wolfiana fängt jetzt einen Streit an? Ich laufe schnell zu Feldmausina. "Lauf schnell!", flüstere ich ihr ins Ohr. Sie wirft einen Blick nach hinten und tut, was ich sage. Endlich hat sie Wolfiana abgehängt! Ich freue mich für sie.
Wolfiana ärgert sich, das merkt man.
Wie ich sehe, ist Tigia schon bei Hazian und Luchsa. Die 3 lachen über irgendetwas. "Was ist?", frage ich und laufe zu ihnen.
"Luchsa hat einen Farbfleck auf dem Boden gesehen und sich nach unten gebeugt, um seine Ohren damit zu färben, aber das hat nur halb geklappt und sieht jetzt sehr komisch aus", erklärt Tigia.
"Luchsa ist zu groß und breit, deshalb kann er sich schlecht dehnen", spottet Hazian. Ich schaue mir die Ohren von Luchsa an. Farbe vom Boden auf die Ohren zu schmieren, ist irgendwie unhygienisch. "Also", sage ich, "jetzt kommt die Info des Tages: Hanusz..."
"Ja?", fragen Tigia, Luchsa und Hazian im Chor und stecken neugierig die Köpfe zusammen.
"Hanusz ist in Wolfiana verliebt!", verkünde ich.
"WAS?" Meine 3 Gegenüber sind alle entgeistert.
"Was... was hast du gesagt? Nochmal, bitte." Luchsa glaubt ernsthaft, sich verhört zu haben.
"HANUSZ IST IN WOLFIANA VERLIEBT", erkläre ich laut, damit alle es richtig verstehen.
"Skandal!" Luchsa kann es immer noch nicht fassen. "Skandal. Das ist ein Skandal."
Hazian fasst sich mit der Pfote an den Kopf, schüttelt diesen und schließt die Augen. "Hanusz, Hanusz... ach Hanusz. Mein Gott... Ernsthaft?" Er öffnet die Augen, um Tigia und mich anzusehen, und schließt sie wieder. "Hanusz, Hanusz...", wiederholt er. Luchsa rammt ihm den Ellbogen in die Schulter, um ihn auf den vorbeilaufenden Hanusz aufmerksam zu machen. Vorbeilaufenden? Eher läuft er auf uns zu, und zwar, genauer gesagt, nicht auf uns sondern auf mich!
"Ponita", sagt er mit einer gewissen Schärfe in der Stimme, "Ppponita..." Die Betonung liegt auf dem O von meinem Namen. Im Polnischen wird mein Name etwas anders ausgesprochen als im Deutschen.
Hanusz verengt die Augen und greift mir an die Schulter. In leisem, zischenden Tonfall raunt er mir zu: "Du weißt es! Und du hast es gesagt..."
Ich weiß nicht, was er jetzt tun wird. Und erst recht nicht weiß ich, was ich jetzt tue.
Hanusz lässt mich los, sein Blick ist gesenkt. "Ponita Nowak. Du..." Er seufzt und schaut mich aus seinen Hühneraugen verzweifelt an. Sein Gesicht wirkt blass und farblos, nur das Rot seines Hahnenkamms und seines Kehllappens sticht hervor. Und jetzt durchbohrt er mich mit seinem verzweifelten Blick. Ich kann das Feuer, das in seinen runden Augen lodert, förmlich sehen. "Stute!"
Er dreht sich um, rennt zu seinem Fahrrad und steigt auf den Fahrradsattel.
Luchsa krempelt seine Ärmel hoch und läuft ihm hinterher. "Hanusz! Hanusz, bleib!" Er klingt nicht wütend.
Hanusz hört nicht auf Luchsa. Er tritt hartnäckig in die Pedale. Aber auch Luchsa gibt sich nicht leicht geschlagen. "Hanusz Huhnski! Stopp!", ruft er und sprintet seinem Freund hinterher. Hanusz will abbiegen.
Luchsa macht etwas sehr gefährliches. Er springt auf Hanuszs Hinterreifen drauf, hält ihn fest und zieht an ihm. Widerwillig stoppt Hanusz, um Luchsa nicht zu überfahren. Er steigt ärgerlich ab und hilft Luchsa, der inzwischen, das Rad immer noch festhaltend, auf dem Boden liegt, auf. Auf Luchsas weißem Hemd kann man eine schmutige braune Spur vom Fahrradreifen sehen.
Tigia schaut mich an.
"Was willst du denn noch von mir?", fragt Hanusz und die Not und Hilflosigkeit ist ihm deutlich anzumerken. "Luchsa, du weißt, dass du keine Schuld hast! Ponita hat's ausgeplappert, auf Ponita bin ich sauer. Was ist jetzt noch los?!" Er lässt die Flügel mit einem klatschenden Geräusch an die Oberschenkel fallen. "Wenn du mir eine Standpauke wegen Wolfiana halten willst, dann empehle ich dir jetzt schon, sie dir zu ersparen. Ist nicht nötig, Luchsa!" Der junge Hahn will wieder aufs Fahrrad steigen.
Luchsa versucht, ihn festzuhalten. "Aber..."
Er kann nicht ausreden. Hazian unterbricht ihn. "Hanusz! Ich will dir eine Standpauke halten! Das ist wirklich verantwortungslos von dir gegenüber mir und auch gegenüber Luchsa, dich einfach so in diese Wolfiana zu verlieben! Das... Ausgerechnet in sie! Bei jeder anderen kann ich ein Auge zudrücken, aber Wolfiana? Nein, da mach ich nicht mit! Was ist denn das für ein Freund, der sich in die Feindin verliebt, also wirklich, Hanusz Huhnski!"
Am liebsten würde er noch weiterschreien, doch Luchsa hält ihm den Mund zu und rennt gleichzeitig Hanusz nach. "Halt den Mund, Hazian", fährt er den Hasen an. "Das zu sagen, ist nicht dein Recht, du Miesepeter! Hanusz kann nichts dafür und du sollst dich mal nicht so lächerlich anstellen. Hanusz ist mein Freund, kapiert?! Und deiner ist er auch, wenn du ihn nicht wegen Kleinigkeiten anmotzt." Er wendet sich Hanusz zu: "Hanusz, du brauchst nicht vor uns wegzufahren, bei... Bei deinem Vater Hanego! Das ist alles nicht nötig."
Ein Schatten huscht über das Gesicht des jungen Hahns. Er schaut zu Luchsa, dann zu Hazian, dann zu mir. Er senkt den Kopf, schüttelt ihn und kneift schließlich die Augen zusammen. Schmerz. Kampf. Beides sieht man ihm an. Schließlich geht er auf Luchsa zu und klopft ihm auf die Schulter. "Luchsa, du hast alles richtig gemacht. Hazian und Ponita, ihr auch. Es war mein Fehler und meine Schuld. Aber ich konnte nicht anders, das... das müsst ihr mir glauben! Ich konnte es nicht verhindern, dass ich mich... in..." Hanusz stockt. Seine Augen glühen vor Ratlosigkeit und Verzweiflung.
Ich halte ihm den Huf hin, und er legt seinen Flügel darauf. "Hanusz, du brauchst dich jetzt nicht zu entschuldigen", sage ich und bemühe mich um ein halbwegs realistisches Lächeln. Luchsa nickt mir zu, dann ziehe ich meinen Huf weg und Luchsa gibt Hanusz dafür seine Pfote.
In diesem Augenblick gibt Hazian ein verärgertes Knurren von sich. Als Hanusz, Luchsa, Tigia und ich zu ihm schauen, brummt, faucht, zischt und grunzt er.
Luchsa stöhnt genervt. "Was'n los? Was is'n jetzt wieder los?" Er starrt Hazian fassungslos und irritiert an. Tigia ist auch nicht gerade begeistert von Hazians plötzlichem Wutanfall.
Hanusz nutzt den Moment, in dem er nicht bemerkt wird, und fährt auf seinem Fahrrad davon.
Hazian stampft mit dem Fuß auf und reißt sich die Krawatte vom Hals. "Ich kann es nicht fassen", knurrt er. "Hanusz in Wolfiana. Ich kann es nicht fassen. Das geht einfach nicht. Hanusz hat uns verraten."
Luchsa verdreht die Augen und steckt die Hände in die Hosentaschen. "Hazian, Hazian. Du bist viel zu nachtragend. Ich muss nach Hause. Wie lange willst du uns noch aufhalten?"
Plötzlich springt Hazian auf. Er wirkt auf einmal aggressiv. "So lange, wie du Hanusz noch verteidigst! Das reicht jetzt!", faucht er. "Du begreifst nicht, was es bedeutet, dass er uns verraten hat! Die Lage ist ernst, Luchsa! Aber du begreifst es nicht!"
Luchsa platzt der Kragen. Er wird handgreiflich Hazian gegenüber. "Hanusz hat uns nicht verraten, kapiert?! Was hast du eigentlich für absurde Gedanken?! Bist du überhaupt noch sein Freund?" Luchsas Stimme wird immer lauter.
Hazian zerrt Luchsa an der Krawatte. Nach einer Weile huscht ein finsteres Lächeln über seinen Mund. Seine Augen funkeln. "Nein", sagt er gedehnt. "Ich - Nein, ich bin nicht mehr sein Freund, Luchsa. Und deiner auch nicht mehr..." Der Hase lacht leise auf.
Das kann ich nicht akzeptieren. Wut und Enttäuschung steigen in mir hoch und bleiben im Hals stecken. "Was?", rufe ich. Ich kann mich nicht kontrollieren.
Auch Tigia und Luchsa sind wütend. Sie schreien im Chor: "Was?" und ich stimme mit ein...