Mittwoch, 7. Mai 2025

Ponita & Wolfiana im Gymnasium: 2. Tigia



2. Tigia

Ohne Hobby und Sinn


Ich bin Tigia. Über mich hast du in den ersten Bänden noch nicht so viel erfahren.
Mein Nachname ist Shi. Meine beiden Eltern kommen aus China, aber ich wurde in Deutschland geboren. Manchmal besuchen wir in den Ferien meine Großeltern. Meine Eltern heißen Ting und Taigsha Shi. Klingt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich. Ich weiß. Und du weißt ja, dass sie aus China kommen! Da sind die Namen anders als hier. Dort nennt man übrigens den Nachnamen zuerst, mein Vater wird also so genannt: Shi Ting. Außerdem sind die Namen nicht so lang wie hier.

Alle denken, dass Bisoumes einfach nur austickt. Sich später irgendwann mal wieder beruhigt und merkt, dass das mit der "Coolness" total "cringe" war. Nöpp. Ist sein voller Ernst. Keiner weiß das, aber: Er hasst mich schon seit dem ersten Tag in der Grundschule, genauso doll wie jetzt. Nur da hat er es nicht so vor allen gezeigt, und jetzt lässt er seinen Hass raus. Du findest jetzt sicher, dass das total pessimistisch von mir ist. Du sagst jetzt: "Du hast doch bloß viel zu viel Stress und hast halt keinen Bock, mal was positiv zu sehen." So ist das nicht! Ich frage jetzt dich: Hattest du in deinem Leben vielleicht auch schon mal Pech??!! Hattest du schon mal das Gefühl, dass jemand aus deiner Klasse dich hasst? War das vielleicht wirklich so? Bist du nicht auch manchmal ein bisschen pessimistisch? Und ich bin ja gar nicht mal pessimistisch. Ich hab ein gutes Gespür für sowas, ob jemand mich wirklich hasst oder mag oder ob jemand nur so tut. Ich merke sowas. 🐅🐯
Und Bisoumes hasst mich in dem Fall. Das mit der "Coolness" macht er nur, um einen Grund für den Wettstreit mit mir zu haben. Und jetzt hat er mir auch noch Wolfiana geklaut und sie auf seine Seite gezogen. Aber ich kann nicht sagen, dass nur er das wollte. Sie ist extra zu ihm rübergewechselt. Eigentlich hat mir schon immer irgendwas tief in meinem Inneren deutlich gesagt: Wolfiana nutzt mich aus. Sie ist keine richtige Freundin. Ihre Freundschaft ist fake. Sie braucht mich nur, um mich in eine schlimme Situation nach der anderen zu ziehen und eine Freundin an der Seite zu haben, wenn Hasinde kommt und eine Standpauke hält. Aber ich wollte nichts davon hören. Ich glaubte lieber, Wolfiana würde mich wirklich mögen. Jetzt hat sie mich verraten. Mein Instinkt wusste es. Ich wollte es nicht wissen. Weil ich sonst außer ihr keine Freunde hatte. Und das, weil die, die meine Freunde hätten sein können, Bisoumes' Freunde waren. Er hätte nicht zugelassen, dass sie sich mit mir angefreundet hätten. So war er und so ist er. Aber meine Freunde, die will er für sich haben. Auch wenn sie gar keine Freunde sind. Er will alle auf seiner Seite haben. Ich bin jetzt auf mich allein gestellt. Und solange Ponita, Hanusz, Emma, Feldmausina und (vielleicht) Pumos auf Bisoumes' Seite sind, kann (oder darf) ich mich nicht mit ihnen anfreunden. Ich würde es natürlich gern tun.

Dieser Wettstreit geht mir eigentlich total auf die Nerven. Inzwischen hat er sich so extrem ausgeweitet, dass ich ihn nicht mehr vor meinen Eltern geheimhalten kann. Die ganze Wahrheit ist rausgekommen, als meine Eltern gesehen haben, dass die anderen Tierkinder ihre Schuluniformen tragen. "Warum trägst du deine Uniform nicht?!", hat Mama mich plötzlich angeblafft. Und weil ich so unvorbereitet war, hab ich alles gestanden. Natürlich waren meine Eltern gar nicht begeistert. Mama hat gesagt: "Dieser komische Streit hält dich vom Lernen ab, Tigia! Das ist eine sehr schlechte Beschäftigung während dem Unterricht! Du sollst dich nicht bloß auf dein Aussehen konzentrieren! Denk auch nicht an Freundschaften! Das einzige, woran du während der Schule denken sollst, sind die Hefte, die vor dir liegen!" Das weiß ich noch genau. Du fändest es bestimmt peinlich, wenn du so eine Mutter hättest wie ich. Weil deine nicht so ist. Ich weiß, bei mir ist alles ein bisschen anders. Nicht so durchschnittlich. Eigentlich sollte ich es nicht wissen, aber wie meine Mutter das mit dem Lernen sieht, so sehen es viele Mütter in China. Da ist das ganz normal. Meine Mutter denkt wie die in China.
Du musst dir vorstellen, dass der Lerndruck dort noch viel höher ist. Vielleicht gibt es das Problem, dass du dir das gar nicht vorstellen kannst. Die Lehrer sehen das mit dem Lerndruck nämlich nicht gerade locker. Als wir einmal meine Großeltern besucht haben, habe ich irgendwo an der Wand von einem Schulgebäude gesehen, dass Fotos von den Schülern aufgeklebt worden waren. In der Reihenfolge, wer am besten lernt. Sowas ist unfair. Man sollte einen nicht danach bewerten, ob er besser oder schlechter lernt. Alle sind gut, so wie sie sind. Damit meine ich auch dich. Lass dich nicht davon beeinflussen, was andere über dich denken. Ich weiß, viele sagen das so. Und in diesem Alter ist es sehr schwierig, sich nicht davon abhängig zu machen. Aber trotzdem: Im Grunde haben alle, die das sagen, recht. Ich selbst schaffe es ja auch nicht immer, so weiterzumachen, wie ich bin, unabhängig davon, was die anderen über mich denken. Vor allem dieser Coolheits-Wettstreit mit Bisoumes macht es mir schwer, das zu tun. Denn wenn man cooler sein will als der andere, ist man sehr abhängig davon, dass die anderen einen cool finden. Deshalb hasse ich das so. Ich habe keinen Bock auf diesen Teufelskreis! Morgen ziehe ich die Schuluniform an. Ich will nicht mehr immer gegen die Regeln verstoßen, nur weil Bisoumes mich herausfordert und mir die Freunde klaut. Die Schuluniform ist eh viel praktischer als breite Jeanshosen und lächerliche T-Shirts. Ich muss nicht so vorsichtig mit der Uniform sein. Sie darf schmutzig werden. Weil alle eine haben und das dann nicht so auffällt. Mein Instinkt sagt mir, dass ich das ganze Getue um den Wettstreit lassen soll. Bisoumes kann doch meinetwegen Klassencoolster sein, und ich brauche auch keine Fake-Freunde, die sagen, dass ich cool bin! Das ist mir eigentlich alles gar nicht wichtig. Nur weil ich schon so fest in diesem Kampf-Modus bin, weiß ich gar nicht mehr richtig, was mir überhaupt wichtig ist. Ich habe kein Hobby, deshalb kann mir auch kein Hobby wichtig sein. Viellicht werde ich später mal Balletttänzerin, Pianistin, Mathematikerin, Sportlerin oder Chinesisch-Englisch-Dolmetscherin. Weil ich diese Kurse besuche. Aber das macht mir alles keinen Spaß. Es klaut mir nur die Zeit und den Spaß an der Kindheit. Ich habe keine Freizeit. Immer nur Schule, Schule, Schule und Kurse, Kurse, Kurse. Ich habe es so satt. Und doch lebe ich mein Leben. Irgendwie schaffe ich das. Obwohl Schule und Kurse mir gar nicht wichtig sind! Mir ist zurzeit gar nichts wichtig. Vielleicht wenn überhaupt Freizeit. Aber ich habe kein Hobby, dem ich in meiner Freizeit nachgehen könnte. Also wäre die Freizeit bloß langweilig und ich würde meine Zeit damit vergeuden, rumzusitzen und vor mich hin zu grübeln. Du merkst, das ganze Thema langweilt dich jetzt schon arg. Du gähnst demonstrativ und sagst: "Ach Tigia, das ist ja wieder total pessimistisch von dir. Ich finde das, was du da erzählst, gar nicht spannend. Außerdem übertreibst du und willst mich bloß demütigen." Nein, nein und nochmals nein! Du kannst dir mein Leben einfach nicht vorstellen.
Ich bin nicht verliebt. Dafür ist es natürlich auch noch viel zu früh. Aber vielleicht wäre es ganz gut, wenn ich verliebt wäre. Dann wäre mir jemand wichtig. Aber ich weiß wenig über dieses Thema. Mir erzählt nie jemand etwas darüber. Zuhause ist das tabu. Und in der Schule werde ich auch überhaupt nicht informiert. Ich weiß schon jetzt: Mir werden immer alle alles darüber verheimlichen und irgendwann, wenn ich es gerade am wenigsten brauche, kommt meine Mutter zu mir und sagt: "Jetzt ist es Zeit, dass du heiratest. Ich hoffe, du hast schon einen guten Tiger kennengelernt. Am besten verhilft er dir zu einem guten Job und er bringt dir möglichst viele Vorteile." Genau das wird sie sagen. Ich sehe sie vor mir. 💔🗙
Im Bezug auf all das, was ich hier gerade geschrieben habe, macht leider sehr wenig, was ich tue, Sinn. Vielleicht würde mir eine echte Freundschaft guttun.
 
 
 NF statt BFF
 
Ich sitze auf dem Fahrradsattel und trete in die Pedale. Ausgerechnet jetzt regnet es. Ich habe keine Regenkleidung dabei. Okay, passiert öfters. Kein Grund zur Aufregung.
Heute habe ich die Schuluniform wirklich angezogen. Ehrlich gesagt finde ich, dass sie mir viel besser steht. Hellblaues Polo-Shirt, dunkelblaue Krawatte mit hellblauen Streifen, dunkelblauer Faltenrock. Wenn man es genau betrachtet, eigentlich auch ganz stylisch. Jedenfalls sind Faltenröcke jetzt im Trend, also könnte ich vor Bisoumes auch notfalls so tun, als hätte ich die Schuluniform nur ganz zufällig an. Worauf ich keinen Bock hab. Weil ich diesen ganzen schlimmen Teufelskreis ja eigentlich beenden will.
Ich bin nass. Nur noch wenige Meter bis zur Schule. Auch mein Fahrrad trieft vor Nässe. Jetzt steige ich ab, klappe den Fahrradständer aus, schließe mein Schloss um den Vorderreifen und die Stange, die Lenker und Sattel verbindet, und laufe auf das Schulgebäude zu. Dort steht es, groß und stabil. Das Gebäude, in dem die Tierkinder an ihre Schulpflicht gebunden werden. Ich habe keine Lust. Aber ich muss dort hin, wie jeder. Und ich weiß, dass es viel besser für mich ist, wenn ich mich der Schulpflicht nicht widersetze. Ich bin ja auch verwöhnt. Diese Schule ist ein Luxus, denn es ist ja keine normale staatliche Schule, sondern eine Privatschule, eine mit einer ganz besonderen Atmosphäre. Trotzdem. Die Grundschule hätte meiner Meinung nach doch schon völlig gereicht! Dort habe ich Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. Und noch ein paar Sportarten. Das reicht doch für das Leben. Fand ich damals. Inzwischen habe ich eingesehen, dass es auch ein Luxus ist, dass ich überhaupt zur Schule gehen darf. Früher durften die Mädchen ja überhaupt nicht zur Schule, nur die Jungs. Und noch früher waren die meisten Analphabeten. Ich weiß. Ja, ja. Aber ich freue mich trotzdem immer auf freie Tage und jetzt, wo ich diesen verflixten Wettstreit mit Bisoumes hab, will ich am Morgen meistens gar nicht aufstehen, weil ich weiß, dass mich die Schule erwartet und somit auch eine neue Herausforderung. Solche momente hattest du in deinem Leben bestimmt auch schon mal... Mehr als ein mal. Dann müsstest du mich eigentlich doch verstehen.

Mit jedem Schritt, der mich der Schule näher bringt, steigt der Widerwillen in mir und die Angst, Bisoumes zu begegnen. Er darf nicht denken, dass ich aufgebe! Dass ich kapituliere! Dass ich mich ergebe! Dass er freie Bahn hat! Ich werde alles dafür geben, dass er all das nicht denkt! Mein Entschluss steht fest: Ich bekämpfe ihn! So schlecht es für mich ist, ich kann nicht kampflos dastehen und ihm die Hand geben! Keiner darf merken, dass mir das alles bis zu den Ohren raushängt! Ich werde den Wettstreit weitermachen, damit Bisoumes nicht auf dumme Gedanken kommt. Ich werde ihm auf Schritt und Tritt folgen und ihm die Suppe versalzen, so gut es geht. Ich werde mich wehren und allen zeigen, dass ich dazu fähig bin. Ich werde mich unbeliebt machen, was mir egal ist. Ich werde nicht aufgeben, bis Bisoumes zugibt, dass der ganze Wettstreit lächerlich und unnötig ist. Und wenn ich nie wieder Freunde haben werde!

***

So dachte ich vor noch wenigen Minuten. Und ich habe auch alles getan, was ich tun wollte. Ich habe Bisoumes genervt und genervt und war trotz der Schuluniform cool, aber es hat mir alles keinen Spaß gemacht. Und das habe ich geahnt.
Aber was ich nicht geahnt habe, ist, dass ich doch noch eine Freundin gefunden habe - Eine NF, New Friend; NICHT BFF, Best Fake Friend. Diesen Begriff habe ich von Ponita, mit der ich mich angefreundet habe. Ich sage das keinem, aber ich bin unglaublich froh darüber, endlich eine echte Freundin zu haben. Ich habe immer versucht, mir einzureden, dass ich keine Freunde brauche, aber jetzt sehe ich, wie glücklich mich Freundschaft machen kann. Die erste wahre Freundschaft in meinem Leben. Ponita ist auch eigentlich eine Außenseiterin. Bisher war sie immer für Bisoumes, aber jetzt, wo sie mich hat, findet sie sein Verhalten sonderbar und verrückt. Ihre Freunde haben sie nicht verraten wie meine mich, aber sie haben sie vergessen. Feldmausina hat keine Zeit für sie, weil sie von Wolfiana genervt wird, und Hanusz hat jetzt 2 andere Freunde. Ponita erzählt mir gerade, wie sie heißen: Hazian Ohrt und Luchsa Pinslego. An Schulschluss werden wir Hanusz, Hazian und Luchsa gemeinsam beobachten. Ich würde sie auch gerne mal gesehen haben.
Du fragst dich, wie das mit der Freundschaft so schnell gehen konnte. Du sagst: "Aber Tigia, vor 15 Minuten warst du doch noch total einzelgängerisch!" Das stimmt. So schnell kann das manchmal gehen. Es war übrigens Ponita, die mich angesprochen hat. Eine ganz einfache Frage. "Tigia, magst du Mathe?" Und - schwupp - sind wir Freunde. 2 Außenseiter, die keine richtigen Freunde haben und sich gegenseitig schon immer ziemlich sympathisch fanden.
Ich überlege, ob ich meinen Eltern sage, dass ich jetzt eine Freundin habe. Denn ich bin mir nicht sicher, ob sie das gut finden.

Jetzt bin ich mir sicher. Ich sage es ihnen. Es ist Zeit vergangen, ich habe gut gelernt und die Schuluniform getragen, jetzt ist Pause und ich habe jemanden, mit dem ich reden oder spielen kann. Die Freundschaft hat nur Vorteile für mich. Ponita lernt gut und bringt mich vielleicht langsam vom Wettstreit ab und dem Lernen näher. Das werden meine Eltern bestimmt zu schätzen wissen...
Außerdem sind wir beide zusammen ein starkes Team und falls meine Eltern nicht so begeistert sind, sind es doch bestimmt noch die von Ponita... ☺
 
🐅🐎

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